piwik no script img

Gummisohle gesucht

■ Im Gemeinsamen Landeskriminalamt werden Bodenproben und Abdrücke von Schuhen archiviert/ Zusammenarbeit mit Stasi bei Mauerschüssen

Schöneweide. Die kleinen Bleikugeln, mit denen der Dresdner Neonazi-Anführer Rainer Sonntag von zwei Männern aus dem Rotlichtmilieu auf offener Straße in den Hinterkopf geschossen wurde, liegen säuberlich sortiert in Plastikbeutelchen. Die Dresdner Polizei fragt in diesem Fall bei den Schußwaffenspezialisten in Schöneweide an, um welches Kaliber und um welchen Typ es sich bei der bisher nicht gefundenen Tatwaffe handelt. Die Ballistiker stellen dies nach Probeschießen mit Vergleichswaffen und komplizierten mikroskopischen Untersuchungen fest.

Kriminaltechnische Gutachten für schwierige Fälle werden in Ostdeutschland immer noch zentral im Gemeinsamen Landeskriminalamt der neuen Ländern (GLKA) in Berlin bearbeitet. Rund 100 Mitarbeiter — darunter 60 hochqualifizierte Wissenschaftler — haben alle Hände voll zu tun: Fertigten die Ballistikexperten beispielsweise 1989 noch 62 Gutachten an, waren es 1990 schon 124 und bis zum Juni dieses Jahres bereits 184. In anderen Abteilungen kommen Experten Brandursachen auf die Spur, identifizieren Stimmen von Erpressern oder analysieren umweltschädliche Substanzen. Auch der »genetische Fingerabdruck« gehört seit Jahresanfang in das Repertoire der Kriminalisten.

Auch wenn die technische Ausstattung mitunter nicht auf dem neuesten Stand ist, kann sich das Institut mit Einrichtungen westlicher Bundesländer messen. Bekannt sind die Ostberliner Kriminalisten vor allem für ihre umfänglichen Sammlungen. So gibt es beispielsweisse ein Archiv mit rund 4.000 Schuhsohlenabdrücken. Rund 10.000 Anfragen werden jedes Jahr bearbeitet. Spezialisten haben in jahrelanger Kleinarbeit die sonst wenig beachtete Schuhunterseite genau klassifiziert, unter anderem in die »glatte Sohle mit profiliertem Absatz«, die »Gummisohle mit Winkelprofil« oder auch die »Profilsohle mit Sägezahnmuster«.

Wie es mit dem Spezialinstitut weitergehen soll, wenn das Gemeinsame Landeskriminalamt zum Jahresende aufgelöst wird, ist derzeit noch offen. Ein Weiterbestehen ist aber unwahrscheinlich. Einer der Gründe: die belastende Vergangenheit als ehemalige Zentraleinrichtung der ehemaligen DDR-Volkspolizei. So arbeiteten die Wissenschaftler auch mit Spezialisten der Staatssicherheit zusammen — etwa wenn es um Untersuchungen zu den Schüssen an der Mauer ging. Christan Böhmer/dpa

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen