piwik no script img

Jacques Chirac will Le Pen überflüssig machen

Der Gaullistenführer will den „Einwandererstrom eindämmen“ und bemitleidet französische Arbeiter, die mit Ausländern auf dem gleichen Flur leben müssen/ Nach den jüngsten Jugendunruhen demonstriert die „Front National“ trotz Verbot in Paris  ■ Aus Paris Bettina Kaps

Zuerst hatte der Pariser Polizeipräfekt die Demonstration der „Front National“ verboten. Am Tag zuvor versuchte er nur noch, den Rechtsradikalen einen anderen Platz vorzuschreiben. Doch Parteichef Jean- Marie Le Pen kümmerte das überhaupt nicht: Er ließ seine Anhänger unbeirrt am Dienstag abend wie geplant zur Oper anmarschieren, wo 1.500 Menschen gegen die Ausländerpolitik der Regierung Stimmung machten. „Die Immigration zerstört Frankreich“, behauptete Le Pen. Indem die Sozialisten immer mehr Einwanderer ins Land ließen, verursachten sie „Ungerechtigkeit, Unsicherheit und Dekadenz“. „Polizisten mit uns“, johlte die Menge und: „Gewehre in die Vorstädte“.

Daß Le Pen versucht, aus den Spannungen in französischen Vorstadtghettos Profit zu ziehen, ist kaum verwunderlich. Doch der Chef der „Front National“ muß zugleich sein Revier behaupten. Denn inzwischen stimmt die bürgerliche Opposition ähnliche rechtsradikale Töne an, selbst die Sozialisten wildern bereits im rechtsradikalen Spektrum. Vor allem aber Gaullistenführer Jaques Chirac versucht nach Kräften, Le Pen Konkurrenz zu machen.

Nach den jüngsten Unruhen in Mantes-la-Jolie, die zwei junge Beurs und eine Polizistin das Leben gekostet haben, holte er im Parlament rhetorisch gegen die ImmigrantInnenpolitik der Regierung aus: In den Vorstädten setze sich „das Gesetz des Dschungels“ durch. Um das Übel an der Wurzel anzupacken, müßten „der wachsende Einwanderungsstrom“ eingedämmt, die Familienzusammenführung und das Asylrecht begrenzt werden. Zudem sollten die Rechte der Ausländer auf Sozialleistungen und die Vorschriften zur Erlangung der französischen Staatsbürgerschaft neu diskutiert werden. „Mir schien, als hätte ich nicht Jacques Chirac gehört, sondern Jean-Marie Le Pen“, antwortete Regierungschefin Edith Cresson dem Oppositionsführer. Nach der Le- Pen-Demonstration setzte Chirac noch eins drauf: Auf einer Veranstaltung in Orleans bediente er sich des Klischees vom Einwanderer mit drei Frauen und 20 Kindern, der ohne zu arbeiten 50.000 Francs (15.000 Mark) an Sozialleistungen einstreiche. „Hinzu kommen noch der Krach und der Gestank — da wird der französische Arbeiter auf demselben Flur verrückt“, sagte Chirac und betonte, er sei nicht rassistisch, sondern wolle nur die „moralische Debatte“ über die Einwanderungspolitik eröffnen.

Als Hardliner entpuppt sich nach den jüngsten Unruhen in den Vorstädten auch Innenminister Philippe Marchand. Marchand, erst vier Monate im Amt und bislang als liberal eingeschätzt, erklärte sich zum „Minister der Härte und der Repression“. Demonstrativ stellte er sich vor Polizisten und Gendarmen, die überwiegend in rechten Gewerkschaften organisiert sind. „Ich möchte den Polizisten sagen, daß sie einen Chef haben“, so Marchand, „der ihnen vertraut und der ihnen die Mittel geben will, überall aufzutauchen.“ Glücklicherweise habe es seit seinem Amtsantritt keinen Fehltritt gegeben, meinte Marchand, und hatte offenbar längst vergessen, daß der 19jährige asthmakranke Aissa Ihich in Polizeigewahrsam gestorben war und der 23jährige Youssef Khaif von einem Polizisten durch Nackenschuß getötet wurde.

Sorge bereiten der Regierung die anstehenden Ferienmonate: Da die Vorstadtjugend sich weder die Cote d'Azur leisten noch Jobs zum Geldverdienen finden kann, könnten Langeweile und Frust sich erneut gewalttätig entladen. Um einen „heißen Sommer“ in den Vorstädten zu verhindern, sollen potentielle Unruhestifter aufs Land verschickt werden: Bauern und Förster wollen 4.300 Kids aufnehmen, 300 Jugendliche sollen in einer Militärsporthochschule in Atem gehalten werden. Hunderttausende müssen sich allerdings weiterhin in ihren Ghettos die Zeit vertreiben. Sport, Musik und Kultur sollen sie davon ablenken, daß sie schlecht ausgebildet sind und nach der Schule kaum Arbeit finden werden. Vom Erfolg ihrer Maßnahmen ist die Regierung Cresson offenbar selbst nicht recht überzeugt, denn zusätzlich wird die Polizeipräsenz verstärkt.

Innenminister Marchand bevorzugt eine andere Strategie, um einen „heißen Sommer“ zu verhindern. In Vorstadtghettos wie Val-Fourr bei Mantes gebe es vielleicht 50 jugendliche „Bandenführer“, die „äußerst gefährlich“ seien, und die bräuchten „natürlich nicht Ferien auf dem Land, sondern die Anwendung des Gesetzes“, sagte er im Fernsehen. „Man muß dafür sorgen, daß sie keinen Schaden mehr anrichten können.“ Wenn diese Leute hinter Gitter kämen, werde „die Temperatur in den Vorstädten sinken“. Le Pen wird sich bald etwas Neues einfallen lassen müssen, wenn er sich weiterhin von seinen Politikerkollegen abheben will.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen