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„Ich bin von Haus aus kein Politiker“

■ Der Vorsitzende der PDS, Gregor Gysi, zeigt sich zu Beginn des Parteitages ein bißchen amtsmüde/ Die politische Karriere hat „einen Anfang, aber auch einmal ein Ende“

taz: Sie haben auf der letzten Vorstandssitzung mit Ihrem Rücktritt gedroht, falls die Flügelkämpfe in der Partei nicht aufhören. Ein Ende der Konflikte in der Frage ,Bewertung der DDR-Geschichte und Staatssicherheit‘ ist aber nicht abzusehen. Müssen wir mit Ihrem baldigen Rücktritt rechnen?

Gregor Gysi: Ich habe nicht gesagt, daß die Auseinandersetzungen — im Sinne von Vertretung unterschiedlicher Standpunkte — aufhören sollen. Mir geht es darum, wie in der Partei mit unterschiedlichen Standpunkten umgegangen wird. Ob sie zur Denunziation benutzt werden, oder ob sie harte Auseinandersetzungen bei gleichzeitiger Akzeptanz der unterschiedlichen Positionen sind. Unterschiedliche politische Konzepte liegen nicht vor, und das macht die Diskussionen so schwierig. Dazu kommen dann pauschale Einordnungen und Unterstellungen, die dann allerdings etwas denunziatorisches an sich haben.

Sie sagten, Sie stünden als Vorsitzender nur dann zur Verfügung, wenn die verschiedenen Strömungen in der PDS sich gegenseitig „annehmen und akzeptieren“.

Wenn man sich der Unterschiedlichkeit bewußt wird und gleichzeitig den Konsens sieht, kann man sich darauf verständigen, bei aller Unterschiedlichkeit gemeinsam zu handeln. Wenn nicht, müßten die einen oder die anderen die Partei verlassen. Andernfalls bleiben sie völlig ungewollt zusammen. Von mir würde dann das Kunststück verlangt, zu vermitteln. Gleichzeitig würde mich das unfähig machen, Position zu beziehen — und das kann und will ich nicht. Wenn das nicht gelingt, muß ich die Konsequenzen ziehen.

Der Zustand Ihrer Partei läßt sich in wenigen Worten beschreiben: Im Westen ist die PDS völlig gescheitert, im Osten laufen monatlich 3.000 der übrig gebliebenen 200.000 Mitglieder davon. Wäre es nicht besser, die Partei abzuwickeln, bevor das die Wähler tun?

Diese Aussagen greifen zu kurz. Der Mitgliederschwund ist deutlich rückläufig. Die jetzt kursierenden Zahlen sind etwas irrtümlich. Das hängt zum einen damit zusammen, daß nicht wenige Mitglieder gestorben sind, zum anderen liegt es daran, daß die Karteileichen beseitigt wurden, die schon seit langem keinen Beitrag mehr zahlen, aber formal nie ausgetreten sind. Im Vergleich zu den Neuaufnahmen gibt es trotzdem einen Mitgliederschwund. Das hat mit dem Zustand der Partei zu tun, ist aber auch dem Umstand geschuldet, daß es nicht ganz einfach ist, Mitglied der PDS zu sein. Viele Genossen und Genossinnen schreiben, daß der Austritt aus der Partei schmerzhaft ist, sie aber anders keine Chance sehen, ihren Arbeitsplatz zu behalten. Unabhängig davon hängt das aber auch mit dem Grad der Politikfähigkeit der Partei zusammen. Der ist zur Zeit begrenzt. Und: Andere Parteien haben jeweils ein ihnen zugeschriebenes Kompetenzgebiet, bei den Grünen Ökologie, bei der FDP Wirtschaft usw. — unabhängig davon, ob man das so akzeptiert.

Spöttisch gesagt, liegt die Kompetenz der PDS auf dem Gebiet der Staatssicherheit.

Naja, bei uns ist das auf jeden Fall wesentlich problematischer und im Zweifelsfall mit einer negativen Wertung verbunden. Wir müssen uns ein eigenes Kompetenzgebiet erst erarbeiten. Das kann meines Erachtens auch nicht nur die Interessenvertretung der Ostdeutschen sein. Wir müssen die ganze spezifische Problematik der ehemaligen DDR in die Politik hineintragen. Nur darüber können wir als Partei zu einer gesamtdeutschen Politik kommen. Alle anderen Versuche werden, wie ich denke, scheitern. In den Altländern haben wir kleinere Verbände, die werden wir sicherlich behalten. Aber wir müssen davon ausgehen, daß wir gegenwärtig eine Partei der Neuländer sind.

Aber wie will die PDS aus dem Dilemma kommen, einerseits als Nachfolgepartei der SED wahrgenommen zu werden, der es nicht gelingt, ihre Vergangenheit aufzuarbeiten, die aber andererseits auch kein Profil hat? Ist die PDS nun sozialdemokratisch, sozialistisch, welche Wirtschaftsprogramme hat sie, oder was will sie gegen die Arbeitslosigkeit unternehmen?

Das letztere muß ich zurückweisen. Wir haben Wirtschafts- und Beschäftigungsprogramme beschlossen, die der Parteitag jetzt bestätigen soll. Zum zweiten: Das mit der Geschichte könnte uns ja noch gelingen. Das ist ein schwieriger Prozeß auch innerhalb der PDS, aber wichtig für unsere Glaubwürdigkeit. Wir nähern uns hier Schritt für Schritt den Erfordernissen und der Einsicht, wie wichtig das ist. Was das Bild der Partei angeht, steht hinter der Frage ein ziemlich traditionelles Parteiverständnis. Ich erwärme mich eher für eine Partei, in der sich die sozialistischen Ideen sehr verschiedener Naturen widerspiegeln. Dieser Pluralismus ist angestrebt und erwünscht.

Das letzte, was auch innerhalb der PDS für Furore gesorgt hat, war die Bestätigung des Berliner Landesvorsitzenden Wolfram Adolphi, der seine Stasi-Vergangenheit zuvor öffentlich verleugnet hatte. Die Arbeitsgemeinschaft Junge GenossInnen hat anschließend auf ihrem Bundeskongreß gedroht, sich aus allen wichtigen Parteifunktionen zurückzuziehen. Heißt das, die Erneuerer distanzieren sich von der Partei?

Das sehe ich so nicht. Sie ringen mit den Mitteln, die sie für die wirksamsten halten. Die Jugendorganisation einer Partei hat das Recht und sogar die Pflicht, die Partei unter Druck zu setzen. Dabei muß sie auch Schärfe an den Tag legen. Ein langweiliges Mitläufertum stünde unserer Partei auch nicht gut zu Gesicht. Was Adolphi betrifft, ist für mich der Diskussionsprozeß, der dadurch eingeleitet wurde, das wichtigste. Das zeigt doch, daß Prozesse laufen, daß Bewegung in die Sache kommt. Wir müssen auch aufpassen, nicht in eine Mentalität wie bei den anderen Parteien zu kommen, die heißt: Wir dulden solange alles, wie es nicht 'rauskommt. Und sobald etwas bekannt wird, trennt man sich, um ein bestimmtes Bild zu bewahren.

Das ließe sich umdrehen. Für die PDS gilt: Bei uns kann alles herauskommen — wir trennen uns nicht.

So einheitlich ist das Bild nicht. Das wäre auch zu einfach. Die Diskussion hat ja gerade erst angefangen. Wir wollen versuchen, eine Individualprüfung durchzusetzen. Ich bin gegen eine Sündenbocktheorie, weil andere, die nicht mit dem MfS zusammengearbeitet haben, sehr viel mehr Verantwortung auf sich geladen haben können. Nicht wenige hoffen doch, über das MfS die eigenen Probleme loszuwerden. Eine solche Geschichtsklitterung dürfen wir nicht zulassen.

Liegt Ihre Zukunft in der Partei des Demokratischen Sozialismus?

Auch wenn ich hier nicht weiterkäme und die Leitung der Partei niederlegen würde: Daß ich über eine andere etablierte Partei eine Karriere starten würde, scheidet für mich auf jeden Fall aus. Ich bin von Haus aus kein Politiker und vielleicht auch nicht so leidenschaftlich, wie es manchmal erscheint. Ich bin in einer ganz bestimmten historischen Situation da hineingeraten und ich habe mich da hineingeraten lassen. Das hat einen Anfang, aber auch einmal ein Ende.

Das Gespräch führte

Wolfgang Gast

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