: Gedenken in aller Stille
■ Gedenkreden und Erinnerungen zum 50. Jahrestag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion in beiden Ländern/ Ansprachen von Kohl und Gorbatschow im sowjetischen Fernsehen
Berlin (ap/taz) — Der Schlüssel der Versöhnung heißt Erinnerung. Vor fünfzig Jahren sind drei Millionen deutsche Soldaten auf einer Frontlinie von 1.600 Kilometern in die Sowjetunion eingefallen. Ein halbes Jahrhundert später gedenken Sowjets und Deutsche zum ersten Mal gemeinsam des Überfalls und der Millionen Kriegstoten. Auf Schlachtfeldern, an Massengräbern und an offiziellen Gedenkstätten wurde der Jahrestag am Samstag begangen. In beiden Ländern liefen die meisten Zeremonien in aller Stille ab.
Der Gedenktag stand im Zeichen der Versöhnung zwischen Deutschen und Russen. Erinnerung aber wurde — zumindest in der Bundesrepublik — kleiner geschrieben. Bundespräsident Richard von Weizsäcker legte in Potsdam einen Kranz für die sowjetischen Opfer und einen Kranz für die deutschen Aggressoren nieder. Er sprach von einer „schweren Erinnerung an unermeßlichen Schmerz“, von seiner persönlichen Erinnerung, da er als Zugführer eines Infanterieregiments am Einmarsch in die Sowjetunion beteiligt war. Ein offizielles Schuldbekenntnis war von ihm nicht zu hören. Statt dessen betonte Weizsäcker die gemeinsame Zukunft: Erstmals in der Geschichte des Kontinents gebe es die Chance, „ohne Sieger und Besiegte“ eine europäische Friedensordnung zu schaffen.
Am Vorabend des Jahrestages hatten sich Staatspräsident Gorbatschow und Kanzler Kohl via Fernsehansprachen zu Wort gemeldet, die in beiden Ländern ausgestrahlt wurden. Versöhnung als Stichwort auch hier. Für Gorbatschow wird der 22. Juni 1941 als tragischer Tag „für immer in Erinnerung der Menschheit“ bleiben. Er forderte als erster sowjetischer Staats- und Parteichef seine Landsleute auf, auch die Gräber deutscher Soldaten zu pflegen. Die UdSSR wolle den Weg einer „wahren Aussöhnung“ mit Deutschland fortsetzen.
Bundeskanzler Kohl sprach von dem „Verbrechen“, das die Deutschen begangen haben. Auch für ihn standen die gemeinsame Zukunft der beiden Staaten und die Opfer auf beiden Seiten im Vordergrund. Man trauere um die Millionen von Soldaten, die auf den „Schlachtfeldern dieses Krieges Angst, Not und Tod erlitten“. Daß allein in der UdSSR 27 Millionen Menschen umgebracht worden sind, erwähnte er nicht eigens. Die Beziehungen zwischen beiden Völkern müßten auf eine friedliche Zukunft ausgerichtet sein. „Heute stehen wir an einer glücklichen Wende unserer Geschichte.“
Weniger auf das zukünftige Glück gerichtet war die Stimmung in der Sowjetunion. „Wir erinnern uns“, titelte die russische Zeitung 'Rossija‘. Das Blatt 'Sowjetskaja Rossija‘ schrieb von einem „Tag der Trauer und des Klagens“. Und bei dem Treffen mit Außenminister Genscher unterstrich sein sowjetischer Kollege Bessmertnych, daß er den Verantwortlichen des „Krieges zur Versklavung und Vernichtung“ nicht verzeihen könne. Das Volk der Sowjetunion habe aber „niemals Haß gehabt“ gegen das deutsche Volk.
In der Frankfurter Paulskirche haben Deutsche und Sowjetbürger mit deutlichen Worten an den deutschen Angriff erinnert. Der Frankfurter Oberbürgermeister Andreas von Schoeler (SPD) sagte, es sei eine Legende zu behaupten, das deutsche Heer sei bei diesem Überfall auf Befehl Adolf Hitlers vor 50 Jahren „sauber geblieben“. Viele deutsche Soldaten seien an den Verbrechen „direkt oder indirekt beteiligt“ gewesen. bam
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