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Sprache als Waffe

Deutsche Erstaufführung von Brian Friels „Sprachstörungen“ in Freiburg  ■ Von Jürgen Berger

Ein kleines Dorf an der Westküste Irlands im Jahre 1833 und eine merkwürdige kleine Schule. Manche der Schüler sind nicht mehr die jüngsten, und den Unterricht bezahlen sie in Naturalien. Das Mädchen Maire bringt eine Kanne Milch mit. Hat der skurrile Dorflehrer Hugh getrunken, geht es um alles Mögliche: das kleine Einmaleins, Ovid und Homer — nie aber um die englische Sprache.

Man spricht gälisch und verweigert sich der englischen Sprache, denn sie sei kalt, meinen die Iren, und ohne Poesie. Wenn der alte Jimmy Jack seinen Ovid lateinisch und Homer gar altgriechisch zitiert, gerät man ins Zweifeln, denn die Ansammlung merkwürdiger Typen ist mehr als die Schulklasse einer Heckenschule: ein Widerstandsnest gegen die Versuche der Engländer, Irland zu kolonialisieren.

Sprachstörungen heißt das Stück des 1929 geborenen Brian Friel. Im angelsächsischen Raum werden die Stücke des derzeit wichtigsten irischen Dramatikers — er steht in der Nachfolge der modernen Klassiker Behan und O'Casey — häufig gespielt, bei uns beginnt man gerade damit.

Vor kurzem inszenierte Harald Clemen in Stuttgart Aristokraten (wir berichteten), jetzt kam es in Freiburg zur deutschen Erstaufführung eines seiner jüngeren Stücke, das, obwohl es in der Zeit weit zurückgeht, brisant ist. Friel geht es hauptsächlich um den Zusammenhang von Sprache und Macht, und er behandelt dies, als habe er dabei die ethnischen Konflikte im Auge, die in Afrika in Folge der europäischen Kolonialherrschaft und in Europa als Resultat des verschwindenden OstWest-Konflikts aufgebrochen sind: Friels Stück zeigt einen Kolonialfeldzug der leisen Art.

Schleichend kommt ein Trupp englischer Soldaten in das irische Dorf, vermißt das Land und gibt den Ortschaften englische Namen. Die Dorfbewohner aber tun, als verstünden sie kein Englisch — mehr noch, sie drehen den Spieß um, entschwinden sprachlich in die Antike und benutzen ihrerseits die Sprache als Waffe.

Plötzlich steht der englische Hauptmann an der Spitze der Sprachusurpatoren da — mit Teetasse und gezierter Überheblichkeit —, als habe er nur einen groben Degen zur Hand, während Klaus Weiss als zerlumpter Dorflehrer Hugh mit leicht irrem Charme ein federleichtes Florett zu führen scheint. Nicht- Verstehen ist die Achillesferse des Menschen, und geschlagen steht der Eroberer im gelobten Land.

Translations ist der Originaltitel des Stücks, das tatsächlich vieles übersetzt. Wie das geschieht, wie dabei die Sprache gebogen und verkürzt wird, wie Kluften zwischen den Personen entstehen, wie es trotz allem immer wieder zu nichtsprachlichen Gleichstimmungen kommt, darauf kam es Christian Pade (ein junger Regisseur aus München) in seiner Inszenierung an.

Im Zentrum der Inszenierung steht ein ungleiches Brüderpaar: Manus, der in Freiburg etwas starrköpfig-weltfremdes hat, und Owen, der Weltmann. Er verließ das Dorf und kommt mit den Engländern als gut gekleideter Übersetzer und Assistent eines jungen Leutnants zurück. Der irische Saulus braucht lange bis er Skrupel an der sprachlichen Okkupation bekommt, beim englischen Leutnant geht es schneller. Michael Stiller spielt ihn, verunsichert, mit Anwandlungen von Überschwang.

Zu einer der schönsten Szenen kommt es, wenn er endlich an der Seite des irischen Mädchens Maire steht. Verstehen können sich beide nicht, ihre sprachlichen Versuche wirken hilflos. Trotzdem ist es, als entstünde durch ihre abgerissenen Worte und Sätze ein Klangteppich, auf dem sich die Hände finden.

„Wir fühlen uns mehr zum Mittelmeer hingezogen und neigen dazu, ihre Insel zu übersehen“, hält der Dorflehrer den Soldaten trotzig entgegen, aber am Ende zerstören die Engländer das Dorf — unübersehbar. Irische Verschrobenheit, Whiskey, Pallas Athene und Zeus sind ein gutes Gemisch - aber Kriegsgerät ist aus Stahl.

Brian Friel: Sprachstörungen .

Regie: Christian Pade.

Bühne: Sybille Gädeke.

Mit Dietmar Nieder, Gesine Hannemann, Günther Knecht, Marietta Mequid u.a. Theater Freiburg.

Weitere Vorstellung: 4. Juli.

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