: „Dirty Fire“ unter der Erde
Alle drei Wochen zünden die USA in Nevada eine Atombombe — auf dem Gebiet der Western Shoshone. Die werden sich am 28.Juni beim 10. Weltkongreß der Ärzte gegen den Atomkrieg entschieden zu Wort melden. ■ VONSABINESAUER&THOMASWORM
Eines Tages sahen wir einen Lichtblitz. Dumpfer Donnerausbruch folgte und die Erde unter unseren Füßen erzitterte. Wir hatten keine Ahnung, was vor sich ging. Am nächsten Tag nahm uns die Mutter mit in die Wüste, um zu beten. Wir versuchten zu verstehen, was wir gesehen und gespürt hatten. Aber es gab keine Antwort. Und wir fühlten uns traurig und leer, als wir wieder nach Hause kamen. Es verging lange Zeit, ehe man uns sagte, daß wir den ersten Atombombentest auf dem Nevada- Testgelände erlebt hatten. Hier, mitten auf unserem Land.“ Gebiet der Indianernation Western Shoshone. Es war der 27. Januar 1951 im wüstenartigen Süden Nevadas, als der ultrahelle Flammenschein einen Moment lang in Pauline Esteves überraschtem Gesicht stand, der Tag, an dem die Vereinigten Staaten von Amerika ohne Wissen der angestammten Bewohner dieses Gebietes ihre erste Atombombe auf dem Nevada Test Site (NTS) zündeten.
Als Treuhandmacht verwalten die USA indianisches Land durch das Büro für Indianische Angelegenheiten, eine US-eigene Behörde. Diese verpachtete im Jahr 1951 das Shoshone-Land, das Untersuchungsberichten zufolge „für Atombombentests nur bedingt geeignet“ war an die Vereinigten Staaten. Gewissermaßen handelte es sich um einen Vertrag, den — wie im Falle von Indianereigentum schon oft zuvor — die USA mit sich selber abgeschlossen hatten. Dem völkerrechtlichen „Mündel“, den betroffenen Western Shoshone, wurde der Vertragsabschluß verschwiegen. Nicht ohne Grund.
Abfindungen sind nicht mehr wert als Glasperlen
Die US-Behörden mußten den Widerspruch jener 10.000 Indianer fürchten, die sich selber Newuhnuh und ihr Land Newe Sogobia (Volk von Mutter Erde) nennen. Als Mitte des vergangenen Jahrhunderts die Planwagentrecks gen Westen rollten und in Kalifornien der Goldrausch tausende Schürfer anlockte, probierte die US-Bundesregierung, Verkehrswege auf Indianerterritorium mit Hilfe von Verträgen zu sichern. Ein solcher Friedensvertrag ist der von Ruby Valley, 1863 ausgehandelt zwischen US-Präsident Grant und Abgesandten der Western Shoshone. Darin erkannten die USA die Landrechte der Shoshone an, die ihrerseits in den Bau von Straßen und Eisenbahnen einwilligten. Bei ihren Auseinandersetzungen um das „dirty fire“ (Shoshone-Medizinmann Corbin Harney), das auf dem Testgelände bis zum heutigen Tage mehr als 700 mal gezündet wurde, verweisen die Shoshone immer wieder auf Ruby Valley.
Ginge es nach einem Urteil des Obersten Gerichtshofs von 1989, wäre der Kontrakt von Ruby Valley nicht einmal mehr das Papier wert, auf dem er steht. Quintessenz des Urteils: Durch die Besiedlung seien die Landrechte der Shoshone erloschen. Die Bundesrichter verboten ihnen, sich weiterhin auf Ruby Valley zu berufen. Doch diese rechtsstaatliche „Lösung“ entspricht wohl eher den Interessen des US-Staates als dem Recht. Linda Putnam, langjährige Aktivistin der Anti-Test-Site-Bewegung, widerspricht dem Richterurteil vehement: „Nur der US-Kongreß kann die Gültigkeit eines Vertrages aufheben, der die Unterschrift des US-Präsidenten und von Abgesandten der Nation der Shoshone trägt. Nach dem Gesetz sind die Western Shoshone eine souveräne Nation.“ Deshalb streben sie bereits seit längerem per Unterschriftenlisten eine Behandlung ihres Falles im US- Kongreß an. Ein heißes Eisen, von dem viele Abgeordnete lieber die Finger ließen, würde dann doch ganz generell die juristische „Glasperlen- Politik“ zur Sprache kommen, die in den Vereinigten Staaten im Umgang mit indianischen Landrechten gang und gäbe ist.
In der „Wiedergutmachung“ läßt sich unschwer eine Art Glasperlentausch erkennen, bei dem Lebensraum gegen lächerliche Dollarbeträge hergegeben wird. Hierbei ist für die Abfindungspraxis der Indians Claims Act das wichtigste Gesetz: Aufgabe der Indian Claims Commission, ein von der US-Regierung geschaffenes Gremium, ist es, bestehende indianische Landansprüche per Geldentschädigung zu eliminieren. Im Laufe der Zeit wurden einzelnen Shoshones immer wieder Entschädigungsangebote gemacht, dubiose Anwälte drängten sich ihnen als juristische Vertretung auf, um bei einer „durchgeboxten“ Entschädigung die zehnprozentige Provision einzustecken. Im Jahre 1979 schließlich ordnete der Court of Claims eine Gesamtentschädigung von 26 Millionen Dollar an. Die Shoshone haben das Urteil zurückgewiesen. In ihrer übergroßen Mehrheit verweigern sie nun seit über zehn Jahren die Annahme des Geldes.
Reisetips für Atompilz-Touristen
Das weiße Nordamerika blieb von derlei Sorgen verschont. Nachdem die oberirdischen Detonationen in den 50er Jahren richtig in Gang kamen, war nicht allein Wissenschaftlern und Militärs die Faszination an den strahlenden Pilzwolken vorbehalten. Jedermann sollte sich an den „Mushroom-Clouds“ erfreuen können. „Zum ersten mal“, frohlockte Journalist Gladwin Hall am 9. Juni in der 'New York Times‘, „wird die Atomenergie-Kommission das Nevada Testprogramm auf die touristische Sommersaison ausdehnen, bis in den September hinein. Es wird die längste Testserie überhaupt sein mit über 15 Detonationen.“ Dann verrät er seinen Lesern den Geheimtip: „Die beste Sicht auf die Explosionen hat man vom Mount Charlston aus, der genau östlich von Bundesstraße 95 liegt, nur eine Autostunde von Las Vegas entfernt, über gute Straßen erreichbar.“ Leserservice für A-Bomben-Gucker. Doch nicht alle mochten sich für das tödliche Gleißen unter freiem Himmel so zu begeistern. In den Köpfen der Politiker begann es zu dämmern, welche Gefahr von den bläulichen Blitzen ausging. 12 Milliarden Curie setzten die Nevada- Tests in die Atmophäre frei, wie alle Welt erst spät erfuhr, der Unfall von Tschernobyl im Vergleich „nur“ etwa 81.000 Curie. Mit Unterzeichnung des „Vertrages zum Verbot atmosphärischer Atomwaffentests“ 1963 wurde das „dreckige Feuer“ von Nevada nach hundertmaligem Zünden in den Boden verbannt. Seither rumort es alle drei Wochen in der Erde. Dann wackeln im 100 Kilometer entfernten Las Vegas die Lampen. Ungheurer Druck staut sich in den Tiefen von Yucca Flat, bevor die Erde in sich zusammensackt und Krater von 70, 200 oder auch 600 Metern Durchmesser hinterläßt. Sand, Teer und Epoxydharz sitzen wie ein Stopfen auf dem hunderttausende Grad heißen Glutkern.
Neugierigen Besuchern preisen die Test-Site-Betreiber die letale Ästhetik der Kraterringe als eine Sehenswürdigkeit an; wie Pockennarben übersäen sie das 1.350 Quadratmeilen große Testgelände. Jeder dieser Kreise ist ein nukleares Endlager. Die Asche, die sich hier im Boden anhäuft, heißt Plutonium oder Tritium. In verschiedenen Abschnitten auf dem NTA ist die Tritium-Konzentration im Grundwasser 3.000 mal so hoch wie sie nach geltenden Sicherheitsstandards sein dürfte. Umweltschützer weisen darauf hin, daß trotz der unteriridischen Versuche bei der Hälfte aller Tests Radioaktivität ins Freie gelangt, sei es durch Unfälle, undichte Stellen oder Entlüftungen. Greenpeace berichtet, daß Geologen Risse im Inneren des Rainer Mesa befürchten, eines Berges auf dem Test-Site-Gelände, wo die Sprengkraft der Atombomben erprobt wird.
Millionen Fälle von Strahlenkrebs
Die Verseuchung geht also weiter, auch wenn die Spaltbomben noch so tief verbuddelt sind. Denn die Böden stehen, ebenso wie Luft und Wasser, mit dem gesamten Ökosystem in Verbindung. Was nun als Erblast der oberirdischen Tests zu betrachten ist und was auf unterirdische zurückgeht, läßt sich kaum trennen. Es ist bekannt, daß in den Fallout-Gebieten Utahs zweieinhalb mal mehr Kinder an Leukämie erkranken als im US- Durchschnitt. Allein bis Mitte der 60er Jahre, so schätzt die Nuclear Regulatory Commission, hat der Fallout weltweit 35.000 bis 85.000 Menschen das Leben gekostet, ein Großteil davon geht auf das Konto des Nevada Test Site. Vermutlich ist das viel zu niedrig gegriffen. Sowjetische Radiologen haben unlängst eine Studie veröffentlicht, derzufolge allein in der Sowjetrepublik Kasachstan, wo sich das Atomtestgelände Semipalatinsk befindet, bisher 100.000 Einwohner an testbedingtem Strahlenkrebs starben. Der sowjetische Atomphysiker Andrej Sacharow ging sogar von über sechs Millionen Menschen aus, die aufgrund atmosphärischer Atomversuche Krebs bekommen haben.
Wieviele Western Shoshone sich darunter befinden — darüber gibt keine Statistik Auskunft. Nevada legte zwar 1979 ein Krebsregister an, und seither weiß man, daß dort die Krebsrate im Vergleich mit allen anderen Bundestaaten am schnellsten wächst. Doch die indianische Bevölkerung ist darin nicht enthalten, ebensowenig in den Reports der „American Cancer Society“. Pauline Esteves, die als Abgeordnete im Western Shoshone National Council sitzt, füllt mit ihrem Bericht jenen blinden Fleck in der Wahrnehmung des „weißen Mannes“: „Auch unser Volk ist von der radioaktiven Verseuchung betroffen. Die Menschen haben Krebs-, Haut- und Augenirritationen, Tumore, und die Neugeborenen sind untergewichtig und anfällig. Wir haben viele behinderte Kinder. Wissenschaftliche Studien besagen, daß unsere Gene beschädigt werden. Auch wenn noch nicht alle Schäden in unserer Generation sichtbar sind, sie werden sich bei denen zeigen, die nach uns kommen.“
Aufsehen erregte die Kontroverse um die sogenannten Downwinders, jene US-Bürger, die in Windrichtung der Atomtests wohnen. Sie sind die Hauptopfer des radioaktiven Fallouts. Nachdem in den 70er Jahren 400 Prozesse in Nevadas Nachbarstaat Utah die Öffentlichkeit aufschreckten — allesamt von Geschädigten des atomaren Niederschlags geführt — beschloß das Energieministerium, die Tests bevorzugt bei nord-nordöstlicher Windrichtung vorzunehmen. Somit ziehen nun die strahlenden Wolken- und Luftmassen vor allem über Shoshone-Gebiet. Seit dieser Entscheidung des Energieministeriums stieg die Krebsrate bei Nevadas Männern um 150 Prozent und bei Frauen gar um 250 Prozent gegenüber Utahs Bevölkerung.
Nach einem langwierigen Rechtsstreit, bei dem die Fallout-Geschädigten durch mehrere Instanzen hindurch für einen Ausgleich fochten, verabschiedete der US-Kongreß 1988 endlich ein Gesetz. Zumindest den „Atomveteranen“, Armeeangehörige und Zivilisten, die gezwungen wurden, die Atomexplosion im Freien anzusehen, wurde Ersatz für ihre Krebsbehandlungen bewilligt.
„Quallen-Babies sind die allerhäßlichsten Dinger“
Jene, die in Windrichtung des strahlenden Fallouts leben, gibt es außer im Westen Nordamerikas auch im Pazifik. Insgesamt 66 mal zwischen 1946 und 1958 lösten die USA auf den Marshall-Inseln, Enewetak und Bikini den Riesenknall über dem Stillen Ozean aus. Für die betroffenen Südsee-Insulaner spricht Darlene Keju-Johnson: „Einer der Männer, die den Test ausführlich studierten, erzählte uns, die USA wußten, daß der Wind in Richtung bewohnter Inseln wehte. Aber sie kümmerten sich nicht drum und zündeten trotzdem.“ Darlene Keju-Johnson, die öffentliches Gesundheitswesen studierte, wurde auf den Marshall-Inseln geboren, sie liegen „downwind“ von Enewetok und Bikini. Dort ringen etliche Frauen und Kinder mit dem Krebs. Sie berichtet: „Jetzt haben wir das Problem, das wir Quallen-Babies nennen. Diese Babies sehen bei ihrer Geburt wie Quallen aus. Sie haben keine Augen. Sie haben keine Köpfe. Sie sehen überhaupt nicht aus wie menschliche Wesen. Aber sie werden auf dem Gebärtisch zur Welt gebracht. Die farbigsten, häßlichsten Dinger, die man je gesehen hat. Einige sind behaart, und sie atmen. So ein abscheuliches ,Ding‘ lebt nur für einige Stunden.“
Im pazifischen Raum haben die Franzosen den USA längst den Rang abgelaufen. Das Mururoa-Atoll ist bereits angeknackst, Jaques Cousteau konnte in dem fragilen Inselsockel tiefe Risse fotografieren. Da ein Auseinanderbrechen des Atolls zu befürchten ist, bei dem radioaktive Isotope ins Wasser freigesetzt würden, stellte man die Atomtests dort ein, und die französische Test-Crew zog weiter nach Fangataufa.
Auch im Versuchsgebiet der Franzosen finden sich Western Shoshone, nur heißen sie dort Maohi. Wie die Shoshone sind die Maohi eines dieser kleinen, weiträumig verstreuten Völker, deren jahrtausendealter Lebensraum eines Tages von Fremden ohne ihre Einwilligung zur Testzone erklärt wurde. Naturverbundene Lebensweise trifft auf potenteste Zerstörungskraft, uralte Traditionen müssen immer jüngeren Waffengenerationen weichen. Das gilt ebenso für die Uiguren in der Autonomen Region Sinkiang, die vor zwei, drei Jahren erstmals gegen chinesische Atomtests in der Wüste Gobi protestierten, wie für die nomadischen Nenets mit ihren Rentierherden, die bis zum sowjetischen Atomtest-Beginn 1954 auf Nowaja Semlja lebten und dann aufs Festland umgesiedelt wurden.
Sowjetregierung macht Testgelände dicht
Etwas änderte sich grundlegend für den kasachischen Schriftsteller Olzhas Suleimenov durch diesen Anruf im Februar 1989. Die Stimme am anderen Ende der Leitung teilte dem Kandidaten für den Obersten Sowjet der UdSSR mit, Atomdetonationen auf dem Test-Polygon von Semipalatinsk hätten wenige Tage zuvor das Gestein gespalten, gefährliche Mengen radioaktiven Materials seien dabei in die Atmosphäre gelangt. Suleimenov, bald darauf zum Delegierten gewählt, machte fortan die Forderung nach einem Atomteststopp in Ostkasachstan zu seinem wichtigsten Anliegen; die sowjetische Anti- Atomtest-Bewegung war aus der Taufe gehoben. Und sie konnte sogleich mit Erfolgen aufwarten.
Bereits im August des gleichen Jahres schlugen 2.000 Abgeordnete des Obersten Sowjets der UdSSR den Vereinigten Staaten einen umfassenden nuklearen Teststopp vor — auf Initiative Olzhas Suleimenovs. Zwar reagierte der US-Kongreß nicht, dafür aber knüpfte sich ein Band über den Pazifischen Ozean zu den Gegnern des Nevada Test Site. Shoshone-Medizinmann Corbin Harney und Suleimenov trafen sich, um demonstrativ die Friedenspfeife zu rauchen; aus über 100 Demokratie-, Friedens- und Umweltorganisationen entstand die Nevada-Semipalatinsk-Bewegung. Acht Millionen Kasachen, die Hälfte der Bevölkerung, lernten in „face-to-face“-Gesprächen Mitglieder der neuen Bewegung kennen. Der erste Durchbruch gelang Ende 1989: Die Sowjetregierung erklärte, sie werde bis 1993 die Versuche im Semipalatinsk-Polygon einstellen. Damit bleibt der Sowjetunion als einziges Testgebiet die arktische Insel Novaja Semlja. Die Kasachen scheinen von dem infernalischen Grollen im Erdinnern, das sie seit dem atmosphärischen Teststopp fast ein 500 mal heimsuchte, befreit. Dieses Jahr löste die UdSSR im Polygon noch keine Sprengung aus.
Netzwerk vom Polarmeer bis zum Pazifik
Mittlerweile wurde jener Gedanke zur Realität, der während einer internationalen Bürgerkonferenz bei Gastgeber Suleimenov in Kasachstan entstand: eine erdumspannende Allianz der Atomstopp-Befürworter, die Global Anti Nuclear Alliance, kurz GANA genannt. Ein internationales Bürgerbündnis, bestehend aus Geschädigten, Abgeordneten und Basisgruppen, das vom nördlichen Polarmeer bis zum Südpazifik, von der Wüste Gobi bis zu den Weiten Nevadas reicht. Die Allianz wird von eben jenen Organisationen gestützt, welche die Nevada-Semipalatinsk-Bewegung ins Leben riefen. In ihrer vorläufigen Charta macht sich GANA vor allem stark für die „Umwelt und Gesundheit der Eingeborenenvölker, deren Stimme bisher bei Regierungsentscheidungen weitgehend ignoriert wurde, die ihr Land, ihre Gesundheit und kulturelle Integrität betrafen“.
Den 10. Weltkongreß der „Internationalen Ärzte gegen den Atomkrieg“ in Stockholm Ende Juni möchte die Allianz als Gesprächsforum nutzen. Dort will sie sich Publicity verschaffen und ihre Charta verabschieden, zusammen mit der Ärzteorganisation, die das Projekt GANA mitträgt. „Außerdem versuchen wir ein Aktionsprogramm bis zum Ende der Dekade zu entwerfen“, sagt NTA-Gegnerin Linda Putnam aus Oregon, „wie auf einen umfassenden Vertrag zum weltweiten Atomteststopp hingewirkt werden kann. Da haben wir natürlich die spätestens in zwei Jahren anstehende Diskussion in der UN-Hauptversammlung zu diesem Thema im Auge.“ Eine Aktion steht bereits fest: Tausende Atomtest-Gegner wollen im Jahr 1992 Amerika noch einmal entdecken — zu Fuß. Die 4.500 Kilometer lange Route soll von Florida bis genau an die Stacheldrahtzäune des Nevada Test Site führen. Ankommen werden sie am gleichen Tag wie seinerzeit Kolumbus: am 12. Oktober.
Allerdings könnten sich GANA und die Pilzwolken-Gegner an der starrsinnigen Bush-Administration womöglich die Zähne ausbeißen, die übrigens in Nevada alle Tests für ihren angelsächsischen Juniorpartner Großbritannien gleich miterledigen. Wurden die häßlichen Bangs auf Shoshone-Land stets als unverzichtbar hingestellt, solange die „nukleare Abschreckung Eckstein unserer nationalen Verteidigung ist“ (Energieministerium 1987 in einem Werbeblatt), so entfiel dieses Argument spätestens mit Ende des Kalten Krieges. Auch geht es nicht darum, die Funktionstüchtigkeit bestehender A-Bombenarsenale zu überprüfen. Vier von fünf Zündungen sind sogenannte „weapons related tests“, wo es um Experimente mit verbesserten Systemkomponenten, also um die Entwicklung neuer Waffengenerationen geht. Über 1.500 Meter tief werden mitunter die ein, zwei oder drei Meter durchmessenden Sprenglöcher gebohrt und hinterher aufwendig „versiegelt“. Einen einzigen „buzz“ lassen sich die Test-Site-Betreiber bis zu 60 Millionen Dollar kosten, ein Projekt, hinter dem jedesmal der Steuerzahler als Finanzier steht.
11.000 Leute für Atombomben-Design
Obwohl die UdSSR von Herbst 87 bis Sommer 89 einseitig auf Atomversuche verzichtete, um ihren Vorschlag für einen endgültigen Teststopp zu untermauern, blieben die USA ungerührt. Auch nach dem Golfkrieg weigern sie sich, das Monopol einer modernst ausgestatteten Atomwaffenkammer aufzugeben. Mit der eingegangenen Selbstverpflichtung aus Artikel 6 des Atomwaffensperrvertrages, Schritte zum Abbau der eigenen Arsenale zu machen, hat das wenig zu tun. China und Großbritannien haben bisher nicht unterzeichnet, Frankreich beabsichtigt beizutreten, wird aber, wie Präsident Mitterrand jüngst klarstellte, weiterhin „seine“ Korallenriffe im Pazifik nuklear malträtieren.
Die Sturheit der USA in Sachen Atomtests erklärt sich auch aus den Beharrungskräften des riesigen Forscher- und Technikerheeres, das seine Energien in die militärisch genutzten Spaltprozesse steckt. Mit einem Zwei-Milliarden-Dollar-Etat ausgestattet, widmen sich die 11.000 Angestellten der Los Alamos National, Lawrence Livermore National und Sandia National Laboratories dem Atomwaffen-Design. Eine Mannschaft, die in direkter Verbindung zu den Think-tanks der Universität von Kalifornien steht und sich als Lobby ihren Daseinsgrund stets aufs Neue erschafft — durch noch effizientere Modelle. Vielleicht würde der eine oder andere in seinem Bürozimmer die Dinge etwas anders sehen, wäre er im letzten April wie Linda Putnam draußen am Test Site dabeigewesen.
„Ich saß am Registriertisch unseres Camps und zwar neben Corban Harney, dem Medizinmann der Western Shoshone. Es war etwa elf Uhr morgens. Wir wußten, der Test konnte jede Sekunde losgehen, denn einige unserer Leute verfolgten über Empfangsgeräte den Countdown. Und plötzlich fragt mich Corban: ,Fühlst Du es?‘ Ich hatte nur einen Fuß auf dem Boden, und ja, ich spürte das Beben. Es war unglaublich, wie uns das berührte. Wir alle fühlten uns mit einem mal krank. Nicht zu fassen. Man ist da, glaubt an seine Aktion und dann explodiert die Bombe in 30 Meilen Entfernung.“
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