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Der Oberbeamte Hagedorn kämpft letztlich für uns alle

Berlin (taz) — Die Sitzfläche des deutschen Beamten gilt gemeinhein als breit und ausladend, das dazugehörige Gemüt als träge, der ganze Mensch als ausgewogen, da vom Staat ausgehalten. So lieben wir den Beamten, sorgt er doch in seiner Beharrlichkeit dafür, daß sich trotz allen politischen Wechsels „da oben“ da unten nicht allzuviel bewegt. Deshalb sind uns seine (Pensions-)Rechte heilig und sein Gespür für Besitzstandswahrung ein Vorbild.

Schiere Begeisterung lösen deshalb die Forderungen des Vorsitzenden des Deutschen Beamtenbundes an Bundesfinanzminister Theo Waigel aus, denen sich heute jeder nur anschließen kann. Werner Hagedorn streitet letztlich für uns alle. Er will nichts, als die einigungsbedingten persönlichen Entbehrungen seiner Klientel dem Staatssäckel in Rechnung stellen. „Wir werden darauf dringen, daß ein Beamter, der sein Einfamilienhaus im Bonner Raum unter Wert verkaufen muß, in einer wie auch immer gearteten Form für diese Verluste entschädigt wird“, vertraut er der 'Welt‘ an. Bravo! Wir nichtbeamtete BerlinerInnen finden das korrekt und fordern unserseits von Waigel den vollen Ausgleich für krasse Mieterhöhungen, die zum dritten Mal seit Öffnung der Mauer am 21. Juni für schlaflose Nächte sorgen. In weiser Voraussicht für alle, die sich ihm anschließen werden, hat Hagedorn schon jetzt von „Forderungen in Milliardenhöhe“ gesprochen.

Da der in Vorruhestand versetzte Beamte — so Hagedorn weiter — „dann eine gewisse Zeit nur noch über rund 75 Prozent seines Einkommens verfügen wird, müssen wir hier auch über die Möglichkeiten von Abfindungen nachdenken“. Er denke da an ein gesamtes Jahreseinkommen. Wir denken an die Zehntausenden Quasi-Beamten des Ostens, die in ihrer Warteschleife an Hagedorns Lippen hängen werden. Und für seine letzte Forderung werden wir Berliner ewig dankbar sein: Den „erhöhten Lebenshaltungskosten in der neuen Metropole“ müsse Rechnung getragen werden. Im naiven Vertrauen auf die grundgesetzlich garantierte Gleichbehandlung aller heben wir Hagedorn auf unseren Schild und rufen laut mit ihm: Steuererhöhung für die Besitzstandswahrung! Die neue Hauptstadt ist uns allen teuer. bg/Foto: Rüdiger Dehnen

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