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Der Multimillionär und die armen Kinder

Der demokratische Präsidentschaftsbewerber Jay Rockefeller stellt seinen Kommissionsbericht über die Situation der Kinder in den USA vor/ Neuerwachtes Interesse an der Bekämpfung sozialpolitischer Probleme  ■ Aus Washington Rolf Paasch

In seiner eleganten Hornbrille gleicht der voraussichtliche Präsidentschaftskandidat einem Intellektuellen, was in diesem Land gegen ihn spricht. Doch sein Name John „Jay“ Rockefeller bürgt für Qualität und viel, viel Geld; was ihn für viele wiederum attraktiv erscheinen läßt. Und das Herz des Senators für West- Virginia schlägt für die Kinder. Das zählt in einer Gesellschaft, in deren politischem Lobbysystem die Belange der Sprach- und Einflußlosen immer wieder unter den Tisch fallen.

56 Milliarden Dollar im Kampf gegen die in den USA wachsende Kinderarmut hat am Montag die von Rockefeller geführte „Nationale Kinderkommission“ gefordert. Eine Summe, bei der die Bush-Administration angesichts des Haushaltsdefizits normalerweise gleich weghören würde. Doch das politische Interesse an dem demokratischen Präsidentschaftsbewerber Rockefeller garantiert den Vorschlägen der Kinderkommission nun ungewohnte Aufmerksamkeit. Und Rockefellers Kandidatur — über die er im August endgültig entscheiden wird — profitiert wiederum von seinem überzeugenden Eintreten für die sozialen Belange der Benachteiligten.

Der ernüchternde Bericht handelt von den dramatischen Veränderungen in der Familienstruktur und den negativen Folgen für viele Kinder: von der Verdreifachung der Scheidungsrate, der Vervierfachung der unehelichen Kinder und der Tatsache, daß die Armutsrate unter Kinder mit nur einem Elternteil siebenmal so hoch ist, wie die in Normalfamilien. Viele Kinder seien ohne elementare medizinische Versorgung, erhielten keine ausreichende Ausbildung und lebten in Vierteln, in denen die Gewalt regiere.

Indem die Kinderstudie ausdrücklich den Wert der Normalfamilie betont, konnten unter Rockefellers Führung sogar sämtliche republikanischen Kommissionsmitglieder für die Unterzeichnung der vorgeschlagenen Hilfsmaßnahmen gewonnen werden. Wenn jetzt sogar diese Republikaner unabhängig vom Einkommen gewährte Steuererleichterungen von 1.000 Dollar pro Kind empfehlen, wird die Bush-Administration trotz der enormen Kosten dieser Maßnahme von 40 Milliarden Dollar darauf reagieren müssen. Rockefellers Hinweis, daß für die neue Raumstation 50 Milliarden Dollar im Staatshaushalt gefunden werden konnten, ist in diesem Zusammenhang ein so geschicktes wie populäres Argument für die Erfüllbarkeit seiner Forderungen.

Schon jetzt hat sich das Eintreten Rockefellers für die Bekämpfung der Kinderarmut in den USA als Erfolg erwiesen. Der Siegesparaden nach dem Golfkrieg müde geworden, strahlte das TV-Netzwerk ABC in der letzten Woche eine mehrteilige Reportageserie über arme Kinder in Mississippi, Ohio und anderen sonst vernachlässigten Landstrichen aus. Statt über die Kriegskoalition am Golf und das Verhalten gegenüber den Kurden wird in den Fernsehdiskussion plötzlich über die Einführung eines nationalen Gesundheitssystems gestritten.

Die allgemeine Aufmerksamkeit, die Rockefellers Kandidatur mit seinem Eintreten für eine verbesserte Gesundheitsfürsorge und die Bekämpfung der Armut jetzt entgegengebracht wird, ist nur ein Zeichen dafür, wie schnell die amerikanische Öffentlichkeit nach der — willkommenen — Ablenkung durch den Golfkrieg wieder zu den Problemen vor der eigenen Haustür zurückkehren wird.

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