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Neu im Kino: Wertmüllers "Hingerissen..."

■ Die Kapitalistenschlampe

Der Film heißt mit vollem Namen Hingerissen von einem ungewöhnlichen Schicksal im azurblauen Meer des August und ist ein zauberhaftes zweistündiges Argument. Am Ende ist bloß belegt, daß letztinstanzlich das Geld jede andere Macht, selbst des Männchens, alle macht. Aber allein die schönen Umwege, die zu diesem Schluß führen! Um jede Ecke lotst uns die Regisseuse Lina Wertmüller mit einer ganz ausgekochten filmischen Rhetorik.

Der Film ist ziemlich bald nach Liebe und Anarchie gedreht worden und war seinerzeit (1974) in den USA ein Knüller. In Deutschland kommt er, wegen Raufhändeln zwischen allerlei Verleihfirmen, erst jetzt in die Kinos.

Das erste Ereignis sind die blank verdutzten Schlafaugen von Giancarlo Giannini: immerzu stürzen Zumutungen in diesen Blick, den wir sofort zu dem unseren machen. Als Paradeprolet Gennarino muß Giannini, wenn auch mit aller Renitenz, auf'm Kreuzfahrtsegler der zänkischen Raffaela (Mariangela Melato) den Lakaien machen. „Die Kapitalistenschlampe“ nennt er sie gern bei Gelegenheit.

Natürlich werden die beiden flugs auf ein einsames Eiland verschlagen, wo Gennarino einmal den Spieß umdrehen und und die reiche Raffaela unters Joch zwingen kann. Das ist eine entsetzlich lustige Episode, in der sich alle bislang erforschten Verhältnisse zwischen Klassen und Geschlechtern schließlich schauerlich verdrehen und verrenken.

Erst ganz am Ende muß Gennarino das Spiel verloren geben, in dem von Anfang an alles gegen ihn stand, selbst der Film. In dem herrscht, wie man bald merkt, die sonnigste Urlaubs-Ästhetik. Ein überaus flotter Schnitt, eine Kamera, die lässig durch die Geschichte flaniert: das ist nicht die Welt, in der ein Gennarino Punkte macht.

Ein affenscharfes Witzchen also, der Film, gespickt mit geistesblitzenden Slapsticks und schnellen Pingpong-Dialogen. Immer was zum Lachen. Allein die Irrfahrt der beiden per Schlauchboot über ein Weltmeer ohne Rand und Band ist eine Nummer für sich. Nix als Zwicken, Zwacken, Piesacken. Die Kamera, quasi mitten in der Enge des Bootes, macht daraus ein Kammerspiel für zwei Quadratmeter mit Leere drumrum.

Ein entschlossener Griff in die Beziehungskiste der klassischen Komödie stellt uns zweie vor Augen, die sich nerven ohne Ende , oder auch, je nachdem, lieben von Anfang an. Daß sie einander durchklopfen wie Schnitzel, zeigt, je ernster es wird, unter anderem: die Produktion der romantischen Liebe aus nichts als Gewalt. Manfred Dworschak

Im Cinema tägl. um 20.45

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