: Todesopfer am Tag nach der Unabhängigkeit
■ In Glina starben drei Menschen nach serbischem Angriff auf kroatischen Polizeiposten/ Bundesarmee riegelte das Gebiet ab/ Streit um Grenzposten/ Differenzen zwischen Unabhängigkeitserklärungen/ Markovic: Loslösung ist illegal
Belgrad(afp/taz) - Das allseits befürchtete Ereignis ist bereits am ersten Tag der Unabhängigkeit Kroatiens eingetreten: In dem 80 Kilometer von Zagreb gelegenen und mehrheitlich von Serben bewohnten kroatischen Glina griffen Serben den örtlichen Polizeiposten an. Drei Menschen, darunter eine Frau, wurden erschossen, sechs weitere schwer verletzt. Die Serben Glinas wollen den Anschluß an die ebenfalls auf kroatischem Territorium gelegene Krajina, die sich bereits von Kroatien abgetrennt hat. Panzereinheiten der Bundesarmee sperrten die Zufahrtswege und verhinderten dadurch den Einmarsch zu Hilfe eilender kroatischer Truppen.
An der Grenze zu Italien und Ungarn standen sich an mehreren Grenzpunkten Bundestruppen und slowenische Grenzposten gegenüber. Die Bundesarmee hatte Order zu verhindern, daß slowenische Hoheitszeichen an der Grenze angebracht wurden. Das gelang ihr in einigen Fällen, in anderen herrscht nach Aussagen von Journalisten eine „Pattsituation“.
In Kroatien und Slowenien war man am Dienstag bemüht gewesen, eine äußerste Zuspitzung der Lage zu vermeiden. Die von den Parlamenten beider Staaten mit überwältigender Mehrheit gebilligten Unabhängigkeitserklärungen sollen keinen sofortigen und vollständigen Bruch mit dem jugoslawischen Bund nach sich ziehen, sondern dessen Auflösung vorantreiben und die Bildung einer lockeren Konföderation unabhängiger jugoslawischer Staaten beschleunigen helfen. In Übereinstimmung mit dieser von führenden Politikern beider Staaten proklamierten Grundlinie wird vorerst darauf verzichtet, eigene Reisepässe auszugeben und zu einer eigenen Währung überzugehen. Die Truppen der Bundesstreitkräfte, die in den letzten Wochen vor allem in Slowenien verstärkt worden sind, sollen in beiden Ländern verbleiben können. Allerdings haben Kroatien und Slowenien bereits mit dem Aufbau eigener Streitkräfte begonnen, die den Bundestruppen auf ihrem Territorium freilich unterlegen sind.
Zwischen den Unabhängigkeitserklärungen Sloweniens und Kroatiens gibt es insofern Differenzen, als Slowenien unzweideutig den Austritt aus der Föderation erklärte und die jugoslawische Verfassung als nicht mehr bindend bezeichnete. Es wird auch mit sofortiger Wirkung die Zollhoheit an den Grenzen zu Österreich, Italien und Ungarn beansprucht. In der kroatischen Erklärung heißt es hingegen, daß „der Prozess der Abtrennung von Jugoslawien eröffnet wird“. Vladimir Seks, Vizepräsident des kroatischen Parlaments, erklärte in der Debatte zur Unabhängigkeitserklärung, sein Land wolle sich nicht einfach abspalten. Es gehe vielmehr um einen doppelten Prozess der Trennung und der Erneuerung der Beziehungen zwischen den zukünftig selbständigen jugoslawischen Republiken. Den Politikern in Zagreb und Ljubljana schwebt dabei das Modell der EG vor. Beide neue Staaten wollen ihre Abgeordneten aus dem Bundesparlament abziehen, aber vorerst in den Gremien bleiben, in denen die Republiken paritätisch vertreten sind - also im Präsidialrat und der informellen Beratung der Staatspräsidenten. Jugoslawisches Bundesrecht soll — in Übereinstimmung mit schon vorher gefaßten Beschlüssen — nur insofern gelten, als es mit dem kroatischen und slowenischen Recht ausdrücklich übereinstimmt.
Erwartungsgemäß scharf fiel die Reaktion der jugoslawischen Bundesregierung und des Bundesparlaments auf die Unabhängigkeitserklärungen aus. Ministerpräsident Markovic bezeichnete sie als „illegal und illegitim“. Der Premier gab bekannt, daß „Entscheidungen gefällt worden sind, die das normale Funktionieren des jugoslawischen Staates gewährleisten sollen“. Darunter falle der Schutz der Außengrenzen Jugoslawiens ebenso wie der Grenzen zwischen den einzelnen Republiken. Markovic erneuerte seinen Aufruf, zu einem „demokratischen Übereinkommen“ für die Zukunft Jugoslawiens zu gelangen. Er appellierte an Serbien und das mit ihm verbündete Montenegro, endlich ihr Veto gegen den Kroaten Mesic zurückzunehmen und damit den Weg für dessen Wahl zum neuen Bundespräsidenten freizumachen.
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