: Plädoyers gegen Beer
■ Anklage fordert elf Jahre Haft für den RAF-Aussteiger/ Kronzeugenregelung für umfassende Aussagen beantragt
Koblenz (taz) — Das ehemalige Mitglied der Rote Armee Fraktion, Henning Beer, der im vergangenen Jahr in der Ex-DDR verhaftet wurde, soll in den Vorzug der Kronzeugenregelung kommen. Nach dem Willen der Bundesanwaltschaft wäre Beer dann nach Werner Lotze und Susanne Albrecht der dritte, auf den diese Regelung angewandt würde. Bundesanwalt Hans-Joachim Kurth beantragte in seinem Plädoyer vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts eine Haftstrafe von elf Jahren. Beer werden Mord, dreißigfacher Mordversuch, Raub und Sprengstoffanschläge vorgeworfen.
Strafmildernd wurde gewertet, daß der 32jährige Aussteiger ein umfassendes Geständnis abgelegt und glaubhaft Reue geäußert haben soll. Seine Aussagen hätten, so Kurth, unter anderem zu weiteren Haftbefehlen gegen Christian Klar, Peter-Jürgen Boock, Sieglinde Hofmann und Ingrid Jakobsmaier geführt. Kurth lobte, daß erst durch Beers Aussagen die Beteiligungen von Adelheid Schulz und Ingrid Jakobsmaier an den Sprengstoffanschlägen auf den US-Oberkommandierenden Frederick Kroesen (1981 in Heidelberg) und auf die Ramsteiner Air-base (1981) bekanntgeworden seien.
Beer selbst hat ausgesagt, persönlich an den Vorbereitungen für das Attentat auf den Nato-Oberbefehlshaber Alexander Haig (1979 bei Mons in Belgien) sowie für die Anschläge in Heidelberg und Ramstein beteiligt gewesen zu sein. Auch beim RAF-Banküberfall auf die Zürcher Volksbank im November 1979 beteiligte er sich. Auf der Flucht war bei einer Schießerei mit der Polizei eine Passantin erschossen worden. Obwohl die Bundesanwaltschaft einräumte, daß die tödlichen Schüsse nicht von Beer kamen, hielt sie ihren Mordvorwurf aufrecht. Der „Mord“ sei „im Rahmen des gemeinsamen Tatplans“ geschehen. Im Rahmen der Kronzeugenregelung forderte Kurth dafür achteinhalb Jahre.
Ausführlich lobte die Anklage ihren Kronzeugen, der „tiefe Einblicke in die Struktur, Logistik und Willensbildung der RAF“ gewährt habe. Befriedigt bezeichnete Kurth die während des Prozesses beschriebene „hierarchische“ Entscheidungsstruktur der RAF als Beweis dafür, daß der Anspruch der RAF, „selbstbestimmte Lebensform“ zu sein, „als verlogen demaskiert“ worden sei.
Zwar sei Beer — der stets nur zum zweiten Glied der RAF gestanden habe — nicht „der Kronzeuge, den das Gesetz in erster Linie im Auge hat“, meinte der Bundesanwalt. Dennoch leiste der Angeklagte möglicherweise einen Beitrag zur Verhinderung weiterer Anschläge, indem seine Offenbarungen für Verunsicherung in der Sympathisantenszene führen könnten.
Die Aussagen Beers über die Tatbeteiligung von Sieglinde Hofmann und Ingrid Jakobsmaier kämen zudem für die Verfolger „einer Ergreifung“ gleich. Beide sitzen derzeit nur Zeitstrafen ab. Thomas Krumenacker
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