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Weird Kong und Chocolate Factory

■ Wie im Sommer so auch auf der Lüneburger Heide: Tausende standen auf Pillen und Pisten

Nur um ganz kurz ein paar Gedächtnislücken mit wohl vertrauter, mittlerweile aber oft verschwiegener Geschichte aufzufüllen, sei hier auf den zum populären Jugendkultfilm aufgestiegenen Mod-Streifen »Quadrophenia« hingewiesen. Modernisten und Rocker schlagen sich und hegen soviel Liebe füreinander wie die Fans in der Leipziger Südkurve zu den Krakeelraketen aus Rostock.

Wenn man Wasserstoff mit Chlor mischt, dann knallt es. Wenn man Fusel mit Pillen mischt, dann knallt es. Wenn man Bikerboots mit gestreiften Schlaghosen trägt, dann sieht es scheiße aus. Was soll das also?

Aus Hamburg erreicht Berlin rechtzeitig zur zweiten Runde mit dem Revivalkarussell die reunierte Sixties-Combo Chocolate Factory. In der Katregorie »Wie spiele ich mein Instrument« rangiern sie zwar nach den frühen Hamburger Lärmorgien aus dem Sommer 1985 auf einem der sicheren Plätze in der Abstiegszone, aber als Backenbartträger der ersten Stunde gleichen sie den »Fall ins Bodenlose« (Ruhr-Anzeiger), wie er der Berliner Hertha schon im Spätherbst prognostiziert wurde, zu einem soliden Rang im Mittelfeld aus.

Vorbei die Zeiten, da man lediglich der fünf kreischenden weiblichen Fans am Bühnenrand wegen zu ihren Konzerten gepilgert kam, um dann sturzbetrunken mit dem örtlichen Veranstalter zu flirten. In Brasilien hat einer aus der Schoko-Fabrik das Bedienen der Sambarasseln und Salsagurken erlernt, ein anderer in Nashville den Country gefiedelt und selbst der zupfgeigengehänselte Bass wurde als griechischer Schafhirte getarnt bei der Erforschung des Sirtaki gesichtet: Gyros loves you.

Dabei dürfte als Mischprodukt der Soundtrack zu einem Schnelldurchlauf der kompletten James Bond-Filmserie herauskommen, für den sich jeder seinen eigenen Geschwindigkeitstransformer mitbringen muß (in jeder guten Apotheke auf Vega 5 oder in der Prinzenbar bei Olaf Ott auf einem seiner Soul-Allnighter zu beziehen).

So weit, so gut. Denn nun kommen die Rockers. Am besten verschwinden dann die ganzen Mods und Mädels erstmal ganz schnell, und ziehn sich was in Leder an. Nu geht das nämlich los, joho. Da wird nicht gewinselt, sondern gekeift, nicht geschrammelt, sondern gefichtelt, nicht gedascht, sondern gedongt, eben was ganz anderes gemacht. »Rock'n'Roll, Du Döspaddel«, würde jetzt die Obergangstermöwe zu der Gehilfengangstermöwe bei »Graf Duckula« sagen, und es wäre völlig klar, sie meint Rock'n'Roll. Abgehangenes Oldie-Zeugs, aber mit einer ganz gehörigen Portion Schmieröl im Getriebe. Da hat der Lüde persönlich an den Boxen gestanden und die Reifen gewechselt. Und vor der Weiterfahrt zu einem modischeren Spoiler geraten.

Das gute alte Aufschlagspiel der Rolling Stones (das im Stadium zum Mitklatschen fordert, bevor überhaupt etwas passiert) ließen sie durch unkontrolliert brunftige Laute nach Art von Georg Danzig ersetzen, und den Ellerbecker Rundschlag an der Gitarre (auf Streuung zuhauen) durch satt zuckende Stöße aus dem Thrashbereich hochfrisieren. Damit fährt selbst ein frisch aufgebockter Granada wie eine Turboschleuder und inzwischen selbst schneller als Lüdes' Mühle. Das macht den Mädchen, die pünktlich zum rockenden Kong-Opener in knallengen Edwins und einer vom Nachbarn geborgten Lederjacke erschienen sind, mächtigen Eindruck.

Dann spielen Weird Kong noch ihr »ZZ Pants« in Top-Texasmanier zum Mitsingen, da sollen die Mädels mal so richtig die Bitch heraushängen lassen. Das könnten sie, indem sie ihre scooterfahrenden Mod-Freunde mitbringen, die kleinen eckig-proletarischen, die die Rockers in Brighton jedes Jahr aufs Neue aufmischen. Doch die sind noch auf den Pillen aus der Chocolate Factory. Klarer Fall: Schultheiß (und Rock'n'Roll), der sicherste Einlauf. Harals Fricke

Chocolate Factory und Weird Kong spielen ab 21 Uhr im Ecstasy.

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