: Dickies, Jingo de Lunch, Hard-Ons und Noise Annoys
■ Von Schwestern, Freunden, Freundinnen und auch fast noch von Ex-Freunden
(Jesus, hilf, schon wieder einer dieser Artikel, die man mit dem Synonymwörterbuch, Abteilung großartig, schreiben muß.)
»And of course, thanks to all the nameless fans and groupies for basking in our god-like glory.« (Gut gesagt, nicht wahr, diese göttergleichen Gesellen, wie lieb wir sie haben!) »Well, here it is — by every definition, a live album. These recordings have not been retouched (even though they should have been). So, aside from electronically filtering out the screams of 20,000 teenage girls, what you hear is what happened.« (Schade eigentlich, das hätte ich gern gehört, hatten doch letztes Jahr in der alten TU-Mensa nur 5.000 Teenager das einzigartige Vergnügen ...)
Meine Schwester hat sie geliebt auf ebendiesem Konzert (sie behauptet noch jetzt, daß sie nie ein besseres sah), und wäre sie in London dabeigewesen, hätte man ihre sich vor Begeisterung überschlagende Stimme auch nach Teenagergeschreiherausgefiltere noch hören können.
Für mich persönlich wäre es das schönste gewesen, wenn sie, nach zehn Jahren endlich wieder in Europa, »Stukas over Disneyland« gebracht hätten, jenes Stück, das auf keiner die-neue-große-Liebe-mit-gutem-Musikgeschmack-Betörungsmixcassette fehlen darf. Kurz und gut, sie haben's letztens nicht gespielt, auf der neuen Live-LP ist es deshalb auch nicht, konzentrieren wir also unsere hypnotisch-suggestiven Fähigkeiten auf den heutigen Abend.
Die Live-LP »Locked'n'Loaded« sich zu kaufen lohnt dennoch, schon alleine, um sich noch einmal der guten Zeiten zu entsinnen, in denen meine Schwester und ich noch kleine Provinzpunkrocker waren und das Leben irgendwie einfacher. Da erklingt »Paranoid«, ihre allererste Single (von 1978, als man noch nicht zu glauben wagte, daß solche Musik überhaupt nur erfunden, geschweige denn gespielt werden könnte), und später fordert die Cover-Version von »Nights In White Satin« auf, mitgegrölt zu werden (wie überhaupt sämtliche achtzehn Stücke, jedes für sich ein Hit, alle zusammen eine Legende). Das erstaunlichste an ihnen ist noch immer die Geschwindigkeit, mit der die selbsterkorenen Clown Princes of Punk diese ihre Urversion desselben runterschrammeln — und wie sie es vorbildlich meistern, immer schneller und schneller zu werden, sich nicht zu verhaspeln, nicht zu verhauen, tonnenweise Spaß auf und vor der Bühne zu verbreiten und einfach nach wie vor hundertprozentig unsere Besten zu sein. Es sei empfohlen, möglichst leicht bekleidet zu kommen, nachdem Publikum und Saal letztes Jahr nach etwa fünf Minuten die Atmosphäre eines Warmwasserwerferangriffs verbreiteten. So viel zu den Dickies und zu meiner Schwester.
Was meinen Freund angeht, muß ich ein bißchen Angst um ihn haben, wenn Yvonne von den Jingos zum Mikro greift; er ist unsterblich in sie verliebt (vor allem, wenn sie im Badeanzug durchs Prinzenbad springt ...). Aber in der Kneipe gefällt sie ihm auch, und wenn sie anfängt zu singen, stoßen seine Knie heftiger denn je gegeneinander, klappert sein Herzschrittmacher laut und schnell (gottseidank machen Jingo de Lunch auf der Bühne dermaßenen Krach, daß das Stoßen und Klappern nicht so störend wirkt).
Wenn Yvonne also, wie ich eingangs bereits erwähnte, in Begleitung von Henning, Joseph, Tom und Steve, den nettesten Rock'n'Rollern Kreuzbergs, die Bühne betritt, besteht Gefahr für Leib und Leben (nicht nur bei meinem Freund). Obwohl es völlig überflüssig sein dürfte, auch nur ein Wort über ihre Musik verlieren zu müssen — es gibt keinen einen in Berlin inklusive Ruhrgebiet, Jugoslawien, Moskau, Italien, Roskilde, Holland, Belgien, Frankreich, Baskenland, der sie nicht kennt — möchte ich ihnen ihre eigenen Worte entgegenschmettern: »Make it last«. Sollte ihr Thrash-Speed-Metal-Punk-Rock-Auftritt dennoch einmal vorübergehen, rennt man am besten gleich in den nächsten Laden und kauft sich die von keinem geringeren als Ex- Nazarath Manny Charlton produzierte LP »Underdog« (nur mein Freund sollte das nicht tun, er würde den täglichen Anblick der strahlenden Yvonne nicht überleben).
Nun zu meiner Freundin, die zu erwähnen in diesem Fall schier unumgänglich erscheint. Fängt ihre definitive Lieblingsband auch mit M an (wie überhaupt die meisten Bands, wenn nicht gerade mit S, dann mit M; sowas merkt man immer dann, wenn man sich endlich mal eine Plattensammlung zulegen will und dabei alphabetisch!! vorgeht), so werde ich sie dennoch dazu bringen, sich für meine Lieblingsaustralier zu begeistern — schließlich sind sie diejenigen, die die einmalige Idee hatten, gemeinsam mit Henry Rollins »Let There Be Rock« zu covern. Damit aber noch nicht genug — bestens informierten Kreisen zufolge werden die Hard-ons mit den Schöpfern dieser Krachhymne, eben mit den immergrünen AC/DC, auf (leider nur Australien-)Tournee gehen. Unglaublich.
Mußte ich mich bis dato also noch innerlichen Zerreißproben zwischen Dickies und Hard-ons stellen, so gibt dieses grandiose »Let There Be Rock« letztendlich doch den Favoritenausschlag für das Pop-Core-Perlen-Rock-Trio. Oder um das deutsche Vertriebsinfo zu zitieren: Let There Be Hair! Wie ich meine Freundin kenne, wird sie ihnen gnadenlos verfallen. Gefälligst!
Unüblicher- zwar, an dieser Stelle jedoch angebrachterweise möchte ich, was Noise Annoys angeht, auf meinen Kollegen beim Tip verweisen dürfen, der den Granatwerfer-Pop der vier Hamburger aufs wortreichste zu belobigen weiß. Und so ist schließlich doch noch das Ende dieses Artikels und damit der Punkt gekommen, an dem mein Chef aufatmen und den spitzen roten Redigierstift in die Ecke schmeißen kann. Ich selbst werde das Erwähnen weiterer Bekannter (z.B. meines Ex-Freunds) auf nächste Woche verschieben. Erika
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