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Der FDP geht es um Geld und Glaubwürdigkeit

Wirtschaftsminister Möllemann will zehn Milliarden Mark jährlich an Subventionen streichen, beispielsweise beim Kohlepfennig oder den Werften/ Die Zukunft der FDP ist längst mit seinem Schicksal verknüpft/ Die Liberalen setzen sich von Lambsdorff ab  ■ Aus Bonn Gerd Nowakowski

Wirtschaftsminister Jürgen Möllemann steht im Wort: Wenn bis zum 10. Juli bei der Verabschiedung des Bundeshaushalts 1992 im Kabinett nicht zehn Milliarden Mark an Subventionen gestrichen sind, dann nimmt er seinen Hut.

Doch vor der diesbezüglichen Koalitionsrunde war der flinke FDP- Mann gestern noch weit von seinem Ziel entfernt. Vorsichtig hat er deshalb seine Rücktrittsdrohung bereits abgeschwächt. Ein Teil der Streichungen müßte nicht unbedingt bereits nächstes Jahr „haushaltswirksam“ werden, sondern könne sich auch erst nachträglich im Bundeshaushalt 1992 niederschlagen, erklärte er am Mittwoch.

An welchen Stellen im unwegsamen Subventionsdschungel, in dem jedes Jahr nahezu 130 Milliarden Mark versickern, die Streichposten aufgespürt werden sollen, ist derzeit nur ansatzweise erkennbar. In einer Zwischenbilanz Möllemanns hieß es am Mittwoch, Arbeitsgruppen von Regierung und Koalition hätten bis 1994 bei ihrem Streichkonzert Einsparungen von 35,2 Milliarden Mark aufsummiert.

Davon sollen 9,9 Milliarden Mark bereits 1992 haushaltswirksam werden. Kleiner Schönheitsfehler: Mehr als drei Milliarden Mark schlagen sich nur in den Haushalten der Länder nieder, der Bund geht leer aus. Bei anderen Streichungswünschen Möllemanns, wie den Beihilfen bei der Kokskohle oder den Werften, muß Möllemann sich auf Proteststürme der Beschäftigten gefaßt machen — vor Wochen brannten bereits Möllemann-Puppen im saarländischen Revier.

Aus den eigenen Reihen belächelt — „Quartalsirrer“ nennt ihn beispielsweise der FDP-Fraktionsvorsitzende Hermann Otto Solms — muß Möllemann auch den Hohn der Union ertragen. Deren finanzpolitischer Sprecher Kurt Faltlhauser nannte den Wirtschaftsminister von „allen guten Geistern verlassen“ und kündigte an, man werde sich den „jeglichen Sachverstands entbehrenden Kahlschlagmaßnahmen Möllemanns mit allem Nachdruck widersetzen“.

Nach der morgendlichen Elefantenrunde der Partei- und Fraktionsspitzen und den nachfolgenden Gesprächen im Kanzleramt berieten gestern die Fraktionen der Union und der FDP die Konzepte in getrennten Sondersitzungen. Diese dauerten bei Redaktionsschluß noch an. Die zehn Milliarden haushaltswirksamer Streichungen kommen zusammen, hieß es vor der Sitzung bei der FDP.

„Was Möllemann sagt, ist sein Problem“, vertritt der FDP-Fraktionschef Solms, der zu Jahresbeginn als Protegé des FDP-Vorsitzenden Lambsdorff beim Kampf um das Wirtschaftsressort dem eloquenten Möllemann unterlegen war. Solms weiß es besser. Möllemann hat sich viel zu weit aus dem Fenster gelehnt, um nach einem Fehlschlag unbeschadet weiterzumachen. Längst geht es im Schatten des Subventionsgerangels deshalb auch darum, wie der künftige Kurs der Liberalen aussehen soll — und wer die Partei dann führt.

Ein halbes Jahr vor dem Parteitag der Liberalen im thüringischen Suhl, auf dem der derzeitige Parteivorsitzende Otto Graf Lambsdorff als bisher einziger Kandidat erneut antreten will, sind die Liberalen angesichts der schlechten Vorstellung der Regierungskoalition und des wirtschaftlichen Zusammenbruchs in Ostdeutschland unruhig geworden. Mancher möchte, daß Möllemann nicht wie angekündigt bis 1993 wartet, sondern bereits jetzt den Kampf um die Nachfolge Lambsdorffs antritt.

Lambsdorff sei zwar eine historisch wichtige Person, aber nicht die Zukunft der Partei, ist zu hören. Insbesondere die wirtschaftlichen Probleme in Ostdeutschland mit Millionen Arbeitslosen lassen manchen Funktionär fragen, ob mit dem Wirtschaftsliberalismus noch ein Blumentopf zu gewinnen ist. Im Westen — und auch unter den Mitgliedern in Ostdeutschland — gibt es einen immer deutlicheren Rückgriff auf die sozialliberalen Konzepte, die der verstorbene FDP-Generalsekretär Karl-Hermann Flach Anfang der siebziger Jahre formulierte.

Allein die Selbstheilungskräfte des Marktes zu propagieren oder die Probleme auf vierzig Jahre SED- Herrschaft zurückzuführen, wie es Lambsdorff tut, müsse den betroffenen Menschen in ihrer konkreten Not nur wie ein Hohn vorkommen. „Die FDP muß weg vom Politikverständnis des Grafen“, urteilte der schleswig-holsteinische FDP-Landesvorsitzende Wolfgang Kubicki, der sich zudem für die Zukunft auf Bundesebene eine sozialliberale Koalition wünscht.

Der neue niedersächsische FDP- Landesvorsitzende Stefan Diekwisch kritisiert, daß man bei sozialpolitischen Themen gar nicht auf die Idee komme, nach den Vorstellungen der FDP zu fragen. „Die Themen suchen sich ihre Vorsitzenden und die Vorsitzenden suchen sich ihre Themen“, meint Diekwisch diplomatisch. Hinter vorgehaltener Hand sind andere offener: der FDP- Chef sei viel zu sehr die Verkörperung sozialer Kälte, als daß er eine Hinwendung zu solchen Fragen überzeugend repräsentieren könnte.

Der von Lambsdorff verkörperte Wirtschaftsliberalismus, in den aller Staatseingriff von Übel ist, könne nur funktionieren, wenn eine Wirtschaft so läuft wie in der alten Bundesrepublik.

Möllemann, der in seinem Ministerium bemerkbar nach ungebundenen Denkern sucht und Lambsdorff zu dessen Ärger rigoros von Informationen aus seiner alter Wirkungsstätte abgeschnitten hat, verkörpert einen anderen Ansatz: Interventionen in die Wirtschaft sind angebracht, damit negative Ergebnisse erst gar nicht entstehen. Ein Möllemann, der den ständigen Anspruch der FDP, die Subventionen abzubauen, im Gegensatz zu Lambsdorff erfolgreich umsetzt und dies auch noch als solidarische Umschichtung zugunsten der darbenden Ostdeutschen verkauft, gewänne noch mehr Gewicht in der Partei.

Auch die Glaubwürdigkeit der Liberalen sehen Parteifreunde nach dem Lambsdorffschen Fiasko in Sachen Steuererhöhung mehr als bedroht. Der einzige Glaubwürdigkeitsfaktor der FDP sei derzeit der gesundheitlich angeschlagene Außenminister Genscher. Bleibt Möllemann dagegen hart mit seiner Forderung nach Subventionsabbau und zeige, daß er für seine Sache alles zu riskieren bereit ist, dann könne das der FDP mit ihrem Umfaller-Image nur gut zu Gesicht stehen. „Wir müssen jetzt ernst machen, sonst können wir das Thema und unsere eigene Glaubwürdigkeit vergessen“, glaubt jedenfalls Diekwisch. Die Frage, was passiert, wenn Möllemann scheitert, bleibt in der Partei allerdings unbeantwortet. Einen anderen FDP-Politiker dann auf denselben Posten zu setzen, ist ebenso unvorstellbar wie die Perspektive, über den Subventionsstreit die Koalition platzen zu lassen. Die FDP weiß um ihr Dilemma. Der Unterstützung seiner Parteifeinde — wenn auch zähneknirschend — darf sich Möllemann deshalb gewiß sein.

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