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Entweder alle zahlen oder keiner!

■ Das Bundesverfassungsgericht fordert ab 1993 schärfere Kontrollen zur Besteuerung privater Zinserträge/ Bundesrechnungshof: Zahlungsmoral der Bürger traurig/ Koalition reagiert gequält

Berlin (taz) — Nach dem gestrigen Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Besteuerung privater Zinserträge steckt die Bonner Koalition in der Zwickmühle. Das Karlsruher Gericht hat entschieden, daß der Gesetzgeber nicht nur die Gleichbehandlung der Bürger bei der Festsetzung der Steuerpflicht, sondern auch bei ihrer Durchsetzung garantieren muß. Dem stehen aber bislang die gesetzlichen Bestimmungen — allen voran der Bankenerlaß von 1979 — entgegen. Damit, so der 2. Senat des Vefassungsgerichts, werde aber die wirksame Kontrolle von Kapitalerträgen verhindert, die Bestimmung erweise sich „als strukturelles Vollzugshindernis“. Mit dem Bankenerlaß sollte „aus gesamtwirtschaftlichen Gründen“ verhindert werden, daß Kapitalanleger ihr Geld aus dem Inland abziehen.

Die bisherige Praxis laufe darauf hinaus, daß nur derjenige Steuern zahlen muß, der seine Einkünfte aus Kapitalvermögen auch ehrlich bei den Finanzämtern angibt. Die „Steuersünder“ könnten dagegen in der Regel nicht zur Kasse gebeten werden. Denn die Finanzämter dürfen „von den Kreditinstituten die einmalige oder periodische Mitteilung von Konten bestimmter Art oder bestimmter Höhe nicht verlangen“. Mit anderen Worten: Die Bezieher von Kapitalerträgen sind weitgehend davor geschützt, „bei der Steuerverkürzung entdeckt zu werden“ — und das sei „verfassungsrechtlich nicht geboten“. Die Verfassungsrichter trugen dem Gesetzgeber weiterhin auf, bis spätestens Anfang 1993 schärfere Kontrollen zur Besteuerung privater Zinserträge, unter die auch Sparguthaben fallen, sicherzustellen — anderenfalls dürften gar keine Kapitalertragssteuern mehr verlangt werden.

Die Bundesregierung reagierte gequält. Nach einer Koalitionsrunde unter Vorsitz von Bundeskanzler Kohl erklärte der Regierungssprecher Dieter Vogel, „bis einschließlich 1992 bleibt der geltende Rechtszustand bestehen“. Die Bundesregierung werde „sorgfältig prüfen“, welche Maßnahmen für die Zeit danach getroffen werden müßten. Die kleinen und mittleren Sparer, beeilte man sich zu versichern, müßten sich keine Sorgen über eine künftige Besteuerung ihrer Kapitaleinkünfte machen. Wie immer die Prüfung ausfallen werde, „die Sparerfreibeträge werden deutlich angehoben“. Deutlich werden die Bauchschmerzen der Bonner Koalition bei der Aussage, nun müßten auch Vorkehrungen getroffen werden, „daß der einheimische Kapitalmarkt für ausländische Kapitalgeber attraktiv bleibt“.

Gegen die bisherige Steuerpraxis hatte ein früherer Leiter einer Straf- und Bußgeldsachenstelle geklagt. Der Beamte wehrte sich gegen die Besteuerung der Zinsen aus fest verzinslichen Wertpapieren und Sparguthaben. Seine Beschwerde begründete er mit einem Verstoß gegen den Gleichheitssatz, da nur derjenige seinen Obulus leisten müsse, der seine Zinseinkünfte freiwillig deklariere. Das Gericht gab dem Mann jetzt inhaltlich voll recht. Aus den Untersuchungen des Bundesrechnungshofes ergibt sich, daß es um die Steuermoral der Bundesbürger nicht gerade bestens steht. Die Einkünfte aus Kapitalvermögen werden danach „nur sehr unvollständig“ versteuert — die Quote liegt bei den verschiedenen Finanzämtern zwischen 3,7 und 47,7 Prozent. Der damit einhergehende Steuerausfall soll jährlich mehr als sechs Milliarden Mark betragen.

In einer zweiten Entscheidung hat das Verfassungsgericht die Vorlage des Finanzgerichts Münster verworfen, das die 1989 angeordnete Amnestie für Steuersünder als verfassungswidrig bezeichnet hatte. Straffrei geht damit aus, wer seine Einkünfte aus Kapitalvermögen vor 1986 hinterzogen hat, wenn er anschließend die Zinsen für 1986 und 1987 vollständig angegeben hat. Aber auch hier gilt oben genannter Bankenerlaß, wonach die Finanzämter bei den Banken keine Mitteilung über die diversen Kontostände einholen dürfen (Aktenzeichen: 2 BvR 1493/89 und 2 BvL 3/89 vom 27. Juni 1991). Wolfgang Gast

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