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Ambulanz ins Gesundheitsamt

■ Deputation beschließt in letzter Instanz / Beirat lief vergeblich Sturm

“Das wird ein Wahlkampfthema! „ versprachen streitlustig die AnwohnerInnen. Zur Sondersitzung „Drogenambulanz im Hauptgesundheitsamt“ (HGA) hatte der Beirat Östliche Vorstadt eingeladen, und in der Turnhalle Lessingschule drängten sich 200 ViertelbewohnerInnen.

Soll die medizinische Ambulanz für Drogenkranke von der Drobs umziehen ins HGA? Die AnwohnerInnen laufen Sturm. „Ich fürchte allmählich die Konfrontation von Kranken und Bürgern, also das Ende des Dialogs“, warnte unüberhörbar ein Sprecher der Initiative und bekam dafür brausenden Applaus.

Zwei Zauberworte sind Hoffnungsträger: “Dezentralisierung“ von Beratung und Hilfsangeboten in die Stadtteile, und die Vision eines Busses, der Methadon in die Stadtteile liefern, aber durch Mobilität feste Dealertreffs verhindern soll.

Für dezentrale Methadon-Vergabe ist auch die Behörde. Staatsrat Dopatka: „Nichts ist dezentraler als niedergelassene Ärzte, die das ja bereits montags bis freitags erledigen. Über den Schwachpunkt Wochenende denken wir intensiv nach.“

Wenn er will, darf Dopatka übrigens im Juli in die ferienfreie Wohnung der Anwohnerin Koke gleich am HGA ziehen, bot ihm die zur Wahrnehmungserweiterung an: „Von den über 200 Methadon-Patienten hier merken wir gar nichts, wir haben nur Probleme mit den 10 oder 15, die herumtorkeln und zusammenklappen, vor allem den Obdachlosen, die am Wochenende auch die Drobs nicht haben. Die brauchen Wohnraum, Cafes und Beratung in allen Stadtteilen! „ Da sind ja dann deren Anwohner vor, erinnerte SPD-Beirat Verhaeg, gegen heftiges Publikums-Gemurre, an die „Anti-Dezentralisierungs- Demo“ in Schwachhausen.

Die Stimmung blieb aber trotz des emotionalisierenden Themas überraschend sachlich; verächtliche, scheinheilige Äußerungen wie „Wir haben nix gegen die Süchtigen — aber die kotzen, scheißen, pissen überall hin!“ blieben die Ausnahme.

Beschlossen wurde der Antrag der SPD-Beiräte, der „jedes weitere Hilfsangebot für Drogenkranke im Steintor und Fesenfeld“ bis zu wirklichen Dezentralisierungsmaßnahmen ablehnt, auch die geplante Ambulanz. Auch die Grünen kamen mit ihrem Antrag durch für die Bus- Idee und grundsätzlich gegen Methadonvergabe und Ambulanz im HGA.

Doch die Gesundheitsdeputation ließ sich von dem Beiratsbeschluß nicht mehr irritieren. Gestern nachmittag beschloß sie gegen die Stimmen von CDU und Grünen, daß die Ambulanz baldmöglichst in das Hauptgesundheitsamt einziehen soll. Vor der Entscheidung hatten die Deputierten noch einmal zwei Stunden lang mit VertreterInnen der Anwohnerinitiativen diskutiert, die die SPD-Mehrheit allerdings nicht mehr vom Kurs abbringen konnten.

Im HGA befürchtet Personalrat Peter Kerscher jetzt, daß die Ambulanz, deren Planung von 15 Patienten insgesamt ausgeht, eine ähnliche Patientenlawine wie bei der Methadon-Vergabe erlebt. Die ist in 2 Jahren von 25 auf 275 Fälle angewachsen. Davor will Kerscher seine KollegInnen bewahren: „Die Ambulanz gehört in die Drobs, wo die Junkies sind. Wenn Beratung dezentralisiert würde, wäre da auch Platz.“ HGA-Chef und Methadon-Skeptiker Zenker dagegen findet, „medizinische Hilfe kann erst folgen, wenn die Szene sich dezentralisiert hat. Wir laufen denen doch hinterher!“ Die Methadon- Vergabe aus dem Haus zu bekommen, das lobt er als „Signal an das Viertel“. S.P.

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