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Am Berliner Himmel kratzen

■ Architekten führen einen Generalangriff auf die Traufhöhe/ Bürofläche — soweit das Auge reicht/ Neue Symbole werden gesetzt/ Menschen bleiben in der Planung unberücksichtigt

Die Stadt ist zum Reißbrett geworden. In der Diskussion um die architektonische Zukunft reduziert sich das Häusermeer immer mehr auf ein Miniaturmodell, das man gestalterisch abschätzt. Architektenhände setzen — von oben, sozusagen aus dem Himmel — Dezimeter hohe Holzklötze in die über Jahrhunderte gewachsene Struktur. Der Höhe der Klötze aus Holz, Metall und Plexiglas scheinen dabei keine Grenzen gesetzt zu sein. Der Architektur-Extremist Hans Kollhoff schlägt am Potsdamer Platz 70geschossige Wolkenkratzer, an der S-Bahn-Station Westkreuz in Charlottenburg entweder 30 Skyscrapers à 190 Meter oder drei à 280 Meter vor. Zum Vergleich: Das Europacenter schafft mit Mühe 90 Meter, die Dresdner Bank in Frankfurt gab sich mit 167 Meter zufrieden, das New Yorker Woolworth Building erreicht 260 und das Empire State Building 381 Meter. Kollhoff zu seinem Generalangriff auf Berlins Traufhöhe: »Die Stadt kann nicht hinter das Anspruchsniveau zurückgehen, das die New Yorker Hochhäuser der 30er Jahre oder die Hamburger Kontorhäuser andeuten.«

Für Otto Edel, baupolitischer Sprecher der SPD, sind Architekten wie Kollhoff oder Josef Paul Kleihues, der von Berlins Mitte mit einer Art Stahlbeton-Nadel in die Wolken stechen will, »verrückt«. Das Argument der Platznot will er nicht teilen, weil dies nur für eine zentral organisierte Stadt gelte, bei der sich alles auf einem Quadratkilometer abspielen muß. Gerade in Berlin will er die polyzentrale Struktur erhalten sehen. Michaele Schreyer, Abgeordnete des Bündnis 90/Grüne und ehemalige Stadtentwicklungssenatorin, sieht in den vorgeschlagenen Hochhausprojekten »nur einen Ausdruck von Potenzängsten«. Es sei kein Zufall, daß nahezu alle Hochhäuser von Männern geplant worden seien. Wer vertikale Betonmassen favorisiere, setze das Stadtbild mit einer Skyline gleich, die sich lediglich an die Betrachter von außen richte. Nur Wolfgang Kliem, baupolitischer Sprecher der CDU, zeigt sich progressiv. Für ihn sind Kollhoffs Megabauten am Westkreuz vorstellbar: »In allen Hauptstädten finden Hochhäuser ihren Widerhall — in Moskau, Rom, Paris, New York.«

Allerdings ist der Potsdamer Platz auch für Kliem tabu. In Berlins Mitte müsse die alte Stadtstruktur wiederhergestellt werden. Der Gedanke kommt ein wenig spät, denn Daimler-Benz will auf seinen 60.000 Quadratmetern Grundstücksfläche angeblich 265.000 Quadratmeter Nutzfläche schaffen. Mit Berliner Traufhöhe (20 Meter bis zur Dachkante) wird das nicht zu schaffen sein. Aber Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer (CDU) hat im Wettbewerbsverfahren, das er diese Woche auslobte, die Berliner Traufhöhe auch nicht zur Vorgabe gemacht.

»Platz« ist tatsächlich das schlagende Argument der Hochhausbefürworter. Bis zum Jahr 2010 sollen sich die gegenwärtigen Flächen für Büros und Dienstleistungen von etwa 13 Millionen Quadratmetern verdoppeln — zum Vergleich: Der Stadtbezirk Mitte (80.000 Einwohner, 230.000 Arbeitsplätze) erstreckt sich auf über knapp 11 Millionen Quadratmeter. Ein großer Teil der Dienstleistungs- und Bürostandorte soll aufgrund vorhandener Brachflächen und der verkehrsgünstigen Lage am inneren S-Bahn-Ring entstehen — »Hochhäuser sind dafür ein probates Mittel« (Manfred Zache, regioplan). Vorgesehene Standorte sind Halensee (Wilmersdorf), West- (Charlottenburg) und Ostkreuz (Lichtenberg), Schöneberger Kreuz, Leninallee/Eldenaer Straße (Lichtenberg, Prenzlauer Berg) sowie Gesundbrunnen (Wedding).

Aber nicht nur die Politlobby will mit Zahlenspielerei Druck machen — auch die Investoren drängeln. Uwe Szelag, Baustadtrat in Wilmersdorf (Bündnis 90/Grüne), berichtet, daß die Kapitalgeber meist 14 Stockwerke, manche gar 18 Stockwerke bauen wollten. Bisher ist jedoch aus diesen Plänen nichts geworden, obwohl die Investoren damals ankündigten wiederzukommen, »wenn in einem halben Jahr die Regierungssitzentscheidung zugunsten Berlins fällt«. Seit dem 20. Juni habe jedoch noch keiner angerufen, sagt Szelag.

Auch gegenüber dem Bausenator muß sich der gelernte Kaufmann durchsetzen. Die Gleise in Halensee sollen »überdeckelt« werden, darauf war ursprünglich der Bau von 1.500 Wohnungen vorgesehen sowie Büros mit einer Fläche von 60.000 Quadratmetern — jetzt plane Nagel sogar 100.000 Quadratmeter für Arbeitsplätze und nur noch 500 bis 800 Wohnungen, die nicht mehr für Familien, sondern für die neuen Arbeitnehmer gedacht sind. Glücklicherweise wurde ein von SPD-Nagel vorbereiteter Investorenwettbewerb bisher von der Bundes- und Reichsbahn gebremst, denen das Gleisgelände gehört.

Offenbar sollen überall Hochhäuser gebaut werden. In Charlottenburg liegen Anträge und Anfragen für den Bau von 700.000 Quadratmetern Bürofläche vor — das ergebe siebenmal das New Yorker World Trade Center, welches mit seinen 417 Metern das (noch...) zweithöchste Hochhaus der Welt ist. In Boomtown Charlottenburg will die Ku'Damm-Eck-Gesellschaft das Gebäude an der Joachimsthaler Straße abreißen und ein Gewerbecenter mit Geschäften und einem Hotel schaffen. Der Wettbewerb für das Telekommunikationszentrum am Teleport (Messedamm) läuft. Die schwedische Firma »Skanska« will 1,2 Milliarden Mark investieren. Der Getränkekonzern »Brau und Brunnen« wird 1993 mit dem Bau des »Zoofensters« (80 Meter) an der Hardenbergstraße beginnen.

In Neukölln wird »Bauwert« an der Hermannstraße ein Hotel (45 Meter) hochziehen, Karstadt will am gleichen Platz die Verkaufsfläche verdoppeln. Baustadtrat Bodo Manegold (CDU) hofft, daß sich Um- und Neubauten an die zwanziger Jahre anlehnen werden. Nächste Woche will sich der Bezirk für einen Investor entscheiden, der an der Ecke Hermann-/Karl-Marx-Straße das »Forum Neukölln« errichten soll. Eventuell soll ein Turm auf dem Einkaufszentrum einen »markanten Punkt« bilden.

Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung will am 22. Juli einen bundesweiten offenen Wettbewerb für »das wichtigste Subzentrum im Norden« eröffnen. Bis 1995 sollen dort die Gebäude für einen Regional- und Fernbahnhof und auf den überbauten Bahnanlagen Einkaufszentrum und Bürotürme entstehen. Ende des Jahres soll für den Bereich um die Friedrichstraße ein Ideenwettbewerb ausgeschrieben werden, vermutlich wird hier die Traufhöhe den Phantasien der Himmelsstürmer Grenzen setzen.

Erschreckend ist, daß trotz der einhundertjährigen Geschichte von Hochhäusern jene bei den Planungen vergessen werden, die später in den Betonquadern arbeiten müssen. Auch auf Volker Hassemers »Stadtforum«, an dem neben Architekten auch Stadtplaner und Mitglieder der Berliner Gesellschaft beteiligt sind, war dies bisher kein Thema. Dabei hat der Hamburger Architekt Hans Joachim Fritz herausgefunden, daß die Auswirkung der Raumgestaltung besonders auf kranke Menschen und auf Personen, die unter den Zwängen ihrer Arbeit leiden, viel gravierender sein soll, als das gemeinhin angenommen wird. In Großraumbüros gehe das Gesehenwerden — die optische Kontrolle — mit dem Problem einher, daß man immer weniger Menschen wirklich hören oder gar verstehen könne. Die Sprache, die zum Geräusch verkommt, werde auf diese Weise entmenschlicht, so Fritz. Zusätzlich sei den Menschen im Großraumbüro die Verfügung über ihre unmittelbaren Arbeitsbedingungen vollständig entzogen. Über zu laut oder zu leise, zu kalt oder zu warm, zu hell oder zu dunkel könne man nicht mehr streiten, weil Hitze, Geruch und Lichteinfall unabänderlich und immer gleichbleibend seien. Alles zusammen verursache ein Gefühl des Ausgeliefertseins. Fritz bemängelt, daß alle Versuche, eine solche depressiv machende Architektur zu stoppen, nach wie vor bei den Planern abprallen würden.

Charlottenburgs Baustadtrat Claus Dyckhoff gibt zu bedenken, daß bei den Megabau-Vorschlägen die Verkehrsprobleme genauso vergessen würden wie die ökologischen Konsequenzen. Eine 200 Meter hohe Hochhauswand am Westkreuz würde genau in die Frischluftschneise emporstoßen, die bisher als Verbindung zwischen dem Innenstadtbereich und dem Grunewald diente. Wolkenkratzer bedingen durch ihre vertikale wie horizontale Konstruktion eine drastische Verschiebung des infrastrukturellen Gleichgewichts der Metropolen, berichtet Johann N. Schmidt, Autor des Buches Wolkenkratzer. Es entstehe ein sprunghaft ansteigender Bedarf an Kanalisation, Wasserzufuhr und Energieleistung. Das World Trade Center (100.000 Quadratmeter Nutzfläche) mache das besonders deutlich. Durch die Zwillingstürme, die stark der Sonnenstrahlung ausgesetzt sind, betrage der stündliche Energieverbrauch 680.000 Kilowatt. 50.000 Beschäftigte und 80.000 Besucher können die zwei mal hundert Etagen im Prinzip nur in 198 Aufzügen erreichen.

Eine nur scheinbar unspektakuläre Gefahrenquelle ist die Beraubung beziehungsweise Umverteilung von Luft und Licht. Die Schatten des World Trade Centers erreichen in den Nachmittagsstunden eine Länge von drei Kilometern. Die gegen die Betonmassen stoßenden Winde bildeten heftige Wirbel, welche die Kraft von Orkanen erreichten, während im Bodenbereich der sogenannte »spinning-effect« die Fußgänger einem tornadoartigen Strudel aussetze. Auch wenn nicht so hoch gebaut werde wie in Manhattan, befürchtet Baustadtrat Dyckhoff, verändern Hochhäuser die Stadtstruktur. Sie würden die Menschen in sich hineinsaugen, in schöne Räume, als Gäste und als Konsumenten. Das Leben würde nicht mehr auf den Bürgersteigen stattfinden.

Für den Bau von Hochhäusern scheint jedoch nicht nur zu sprechen, daß man sich für ihre Gigantomanie begeistern kann. Die Investoren jedenfalls bauen gern in die Höhe, um den Grundstückspreis möglichst gut auszunutzen. Vor allem aber haben die Auftraggeber großes Interesse an ihrem Imagegewinn. Wer hoch oder am höchsten baut, ist im Gespräch. Mit einem 230 Meter hohen Turm am Potsdamer Platz wird Mercedes die Gedächtniskirche als Symbol der Spreemetropole ablösen. Dirk Wildt

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