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Rechtsradikalismus-betr.: "Der Eisberg im Osten" von Wilhelm Heitmeyer, taz vom 18.6.91, Leserbrief dazu: "Fragen über Fragen", taz vom 25.6.91

betr.: „Der Eisberg im Osten“ von Wilhelm Heitmeyer, taz vom 18.6.91, Leserbrief dazu: „Fragen über Fragen“ von Wolfgang Schröder, taz vom 25.6.91

Wenn Heitmeyer „Antifaschistische Strategien, die in erster Linie auf Gegengewalt, Ausgrenzung und Stigmatisierung setzen“ als „nicht ursachenbezogen und zum Teil förderlich für den Zusammenhalt rechtsextremistischer Gruppen“ beschreibt und ihm dazu wirklich nichts weiter einfällt, ist dies

1.eine verkürzte und deshalb falsche und zudem schlampige Analyse der Aktionsformen, die er mit dieser Formulierung wohl zu charakterisieren versucht, und

2.zeugt es von einer nicht stattgefundenen Auseinandersetzung mit den Biographien der Leute, die solche „antifaschistischen Strategien“ praktizieren. (Was würde wohl eine Gruppe von 15 PädagogInnen unternehmen, wenn sie an jedem Wochenende Zeilscheibe gewalttätiger Angriffe von Rechtsradikalen würde und erfahren muß, daß Polizei und/ oder Justiz mitunter herzlich wenig zum Schutz dieser Gruppe unternimmt? Ein Großteil der Gruppe, vielleicht sogar Wilhelm Heitmeyer selbst, würde zu genau diesen „Strategien“ kommen, weil sie zunächst einmal nichts anderes als Notwehr sind.)

Heitmeyers Beobachtungen und Schlußfolgerungen zu Ursachen des wachsenden Rechtsradikalismus in der Ex-DDR (und nicht nur dort) sind sicher nicht der Weisheit letzter Schluß, sie global wegzuwischen beweist allerdings eine ebenso schlampige Auseinandersetzung mit seinen Analysen.

Es gibt einen hausgemachten Rechtsextremismus/Neofaschismus in der Ex-DDR ebenso, wie es ihn in der alten BRD gab, wobei allerdings die jeweiligen Ursachen verschiedene sind.

Wichtig ist für meine Begriffe die Auseinandersetzung Heitmeyers mit den aus diesen Wurzeln entstehenden Gefahren im vereinigten Deutschland mit dem völligen Zusammenbruch sozialer Strukturen und der daraus sich ergebenden Orientierungslosigkeit einerseits und dem deutschnationalen Pathos und der Übernahme rechtsextremer Inhalte in die sogenannte etablierte Politik andererseits. Diese Politik hält vielleicht offen rechtsradikale Parteien aus den Parlamenten, sie fördert aber gesamtgesellschaftlich einen gefährlichen Nährboden für rechtsradikales Gedankengut, enttabuisiert faschistoide Inhalte, macht diese salonfähig und liefert auf diese Weise de facto die etablierte Legitimation für die rechtsradikale Gewalt auf der Straße.

Beide Ansätze, sowohl soziologische, pädagogische und politische Ursachenforschung als auch Widerstand gegen rechtsradikale Übergriffe sind bitter nötig. Mensch muß voneinander lernen. C.Baaske, Göttingen

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