: Doppelte Zeitbombe
Am Beispiel des Atommülls aus Mol, der unter Einsatz von teils brutaler Polizeigewalt gegen protestierende Demonstranten und Sitzblockierer in das „Zwischenlager“ Gorleben verbracht wurde, zeigte sich erneut, wie aus der atomrechtlichen „Verantwortung“ des Bundes gefährliche Unverantwortlichkeit werden kann. Beim Bund ist das „Atomrecht“ monopolisiert, und die weisungsgebundenen Länder haben die Risiken zu bewältigen. Dies pervertiert zusätzlich die dem Bundesumweltminister zugeschriebene Äußerung, er habe sich nicht vorstellen können, jemals in die Lage zu kommen, die Lagerung von Putzlappen gegenüber einer Landesregierung anzuordnen. Solche flotten Sprüche sollen die Bürger beruhigen, geben aber um so mehr Anlaß zu Sorge und Angst. Denn immerhin sind diese „Putzlappen“ — wie stark oder weniger stark läßt sich für die bewußt unaufgeklärt gehaltenen Betroffenen nicht überprüfen — radioaktiv strahlender Atommüll.
Die Tätigkeit von Bundesumweltminister Töpfer erschöpft sich in einer atomrechtlichen Anweisung, und damit ist für ihn die Sache erledigt. Was scheren da die Menschen in der Region? Diese zu beruhigen, notfalls zu disziplinieren und vor Strahlengefahren zu „schützen“ ist nicht mehr das Bier von Herrn Töpfer, sondern der niedersächsischen Landesregierung. [...]
Meines Erachtens — und das ist nur eine erste wichtige Feststellung — ist diese ebenso gefährliche wie undemokratische „Arbeitsteilung“ unakzeptabel. Hier müssen neue, angemessene Verfahren entwickelt werden, und dieses Problem muß unbedingt in der Verfassungsdiskussion angepackt werden.
Erneut deutlich geworden ist aber auch ein noch prinzipielleres Problem. So schlimm die bekanntgewordenen Atom- und Atommüllskandale sind — wahrscheinlich ist bisher nur die Spitze des Eisbergs sichtbar —, so gefährlich die Transporte mit dem strahlenden und hochgiftigen Material, viel gefährlicher ist es, daß Tag für Tag immer mehr Atommüll anfällt.
In den Atomkraftwerken tickt eine doppelte Zeitbombe: die nächste Atomkatastrophe, vor der nach den Erfahrungen mit Tschernobyl die größte — berechtigte! — Angst besteht. Aber auch der langfristige und wahrscheinlich in die weite Zukunft Leben zerstörende wachsende Berg an Atommüll.
In diesem Zusammenhang wirft sich dann auch die Frage auf, warum die niedersächsische Landesregierung, die ja nach Aussagen ihrer Umweltministerin und ihres Ministerpräsidenten nachweislich dieses atomare „Zwischenlager“ Gorleben und den Atommüll nicht haben will, letztlich doch nach der Pfeife des schon durch seine schnoddrigen Äußerungen disqualifizierten Herrn Töpfer tanzt? Wo bleibt da die aus Verantwortlichkeit gebotene Zivilcourage? Ich wage zu behaupten, 60 bis 70 Prozent der Bundesbürger (und nicht nur der Niedersachsens) hätten Beifall gespendet und wieder ein Stück Vertrauen in die Politik gewonnen, wenn sich nicht nur ein Landtagsabgeordneter mit den Demonstranten von Gorleben solidarisiert, sondern sich die ganze niedersächsische Landesregierung vor der Räumung zu der Sitzblockade hinzugesellt hätte.
Es ist verdammt schwer, als Bürgerin und Bürger immer wieder gegen Gefahren und Gefährdungen anzurennen, zwar mal zwischendurch rot-grüne Ermunterung zu erfahren: „Macht nur weiter so, wir brauchen diesen Druck von unten“, und dann doch im entscheidenden Moment immer wieder im Stich gelassen zu werden. Da helfen dann auch Krokodilstränen über die zunehmende Staatsverdrossenheit nicht weiter. [...] Klaus Vack, Sensbachtal
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