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Wer befehligt Jugoslawiens Armee?

■ In Belgrad kursieren Gerüchte, daß sich die jugoslawische Volksarmee gespalten hat

Schlug bereits die Stunde der jugoslawischen Militärs? Wurde der gesamtjugoslawische Regierungschef, Ante Markovic, Geisel dogmatischer Generäle? Oder ist seine Regierung längst entmachtet? Fragen, die gestern in Journalistenkreisen in Ljubljana kursierten, aber worauf die Spitzenpolitiker des neuen „Staates“ keine Antwort gaben. So erklärte der slowenische Ministerpräsident, Lojze Peterle, „Markovic ist die Schlüsselfigur“, dieser müsse sofort zu Gesprächen nach Ljubljana kommen, damit sich kläre, ob es stimme, daß die Armee, wie sie immer wieder behauptet, doch nur als „ausführendes Organ“ der Bundesregierung Markovics handle.

Geht man zurück in der Chronologie der Ereignisse, so sieht man, daß in dem Augenblick, in dem Kroatien und Slowenien ihre staatliche Unabhängigkeit verkündeten, Markovic danach drängte, die jugoslawischen Grenzen wie bisher zu sichern. Noch am Tag der Unabhängigkeitserklärungen in Slowenien und Kroatien gab er der 'Financial Times‘ ein Interview, in dem er lächelnd erklärte, eine Militärintervention sei das letzte, was nun passieren würde: „Das würde ja bedeuten, unsere Reformpolitik sei gescheitert.“ Und als die ersten Panzer auf den Straßen Sloweniens rollten, da erklärte der slowenische „Staatspräsident“ Milan Kucan noch immer: „Markovic ist ein Demokrat.“

Ein Demokrat als Panzerkommunist? Warum räumt der so verdächtigte Premier Jugoslawiens diesen Verdacht nicht selbst aus? Weil er es nicht mehr kann — so glauben manche Beobachter in Belgrad zu wissen. In Militärkreisen kursiert das Gerücht, die jugoslawische Volksarmee habe sich gespalten, in einen „demokratischen“ Flügel unter Führung des Oberkommandierenden Kadijevic, der am liebsten Markovic als Oberbefehlshaber der Armee sehen würde, und einen „dogmatischen“ Flügel unter Kadijevics Stellvertreter und Widersacher Adzic und Ex-Oberbefehlshaber in Ruhestand Mirkovic.

Adzic wie Mirkovic kämpften bereits im königlichen Jugoslawien auf Seiten königstreuer serbischer Truppen und schlossen sich erst später dem kommunistischen Widerstand der Tito-Partisanen an. Von daher gelten sie im Volksmund als „Großserben“. Beide sollen angeblich die Bewaffnung der bereits illegal operierenden Cetnik-Verbände des selbsternannten „Feldherrn“ Vojislav Seselj massiv unterstützen. Kadijevic wie Markovic und andere „gemäßigte Kreise“ in der Armee und Bundesregierung sehen jedoch in Seselj einen „Neofaschisten“, dessen Kampfziel, Jugoslawien als Gesamtstaat zu erhalten, nur ein Vorwand sei, eine rechtsgerichtete Diktatur zu etablieren.

Abseits dieser Spekulationen ist jedoch bekannt geworden, daß der Generalstab der jugoslawischen Volksarmee nicht nur seit Donnerstag pausenlos tagt, sondern bei der Tagung hinter verschlossenen Türen heftige Machtkämpfe vor sich gehen. Machtkämpfe, in die der jugoslawischen Geheimdienst KOS mittlerweile eingegriffen hat. So war es denn ein General des Geheimdienstes, Marko Neganovic, der in der Nacht auf Sonntag folgende Erklärung an die Bürger Jugoslawiens verlas, sich aber als Militärangehöriger ausgab, nicht als einer der Chefs des Geheimdienstes: „Der Zerfall Jugoslawiens droht und das Land steht am Rande des Bürgerkrieges. Mit Gewalt versucht man die territoriale Integrität und Ganzheit Jugoslawiens zu zerstören. In Slowenien wird gegen die Armee Krieg geführt, und das auf hinterhältige und schmutzige Weise. Der Waffenstillstand wird nicht eingehalten von Seiten Sloweniens. Die Armee verzichtet aber auf Gewalt und schießt nur im äußersten Notfall.“ Roland Hofwiler

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