: Das Cafe Silberstein in der Oranienburger Straße
Eines Tages, als die Arbeiten am Café noch in vollem Gange waren, stand Herr Silberstein vor der Tür. Herr Silberstein ist etwas älter, recht klein und wohnt schon lange in Montreal. Herr Silberstein ist Jude. Zusammen mit der Nummer 27 der Oranienburger Straße wurde seine Kneipe zwangsarisiert. Das war 1941. Vor fünfzig Jahren also.
Am 3. Mai 1991 eröffnete das Café Silberstein erneut seine Pforten. Natürlich erinnert nichts mehr an das alte Restaurant. Wie denn auch. Wenn da nicht die unter dicken weißen Farbschichten freigelegte Art-Deco-Malerei in der linken vorderen Ecke gewesen wäre. Die ist original. Eine Restauratorin hat sich um den Erhalt dieses Relikts bemüht.
Das Café Silberstein ist eingebunden in das Projekt »Kunsthof mbH«, das die Oranienburger 26 und 27 zukünftig als Atelier- und Galerieräume nutzen wird. Ganz bewußt setzt die Mannschaft auf den Kulturstandort Mitte, insbesondere die Oranienburger Straße, die nun mit der Assel und dem Zapata schon drei Cafés aufzuweisen hat. In Planung sind übrigens noch weitere.
Das Silberstein unterscheidet sich allerdings schon in der Topologie seiner Räumlichkeiten von parallelen Kneipen. Die Sitzgelegenheiten wirken wie zerstreut und bilden nicht das Grundmuster, wie sonst üblich. Der Raum ist bestens für Stehabende geeignet, was vom langen Bartresen unterstrichen wird. Silberstein ist ein Kunstquadrat, das durch die Abstinenz eines schlauchähnlichen oder anderswinkligen Grundrisses von vornherein sich verblasener Holztischgemütlichkeit entgegenstemmt. Alles ist weit und offen und man bekommt reichlich Gelegenheit, sich auf den von Orseno Sanagaré geschweißten Stühlen lümmelnd zu präsentieren. Die oft himmelhohen Stuhllehnen vermessen das Silberstein in seiner ganzen Höhe. Der Sockel einer männlichen Büste kann als Stehtisch genutzt werden. An den Wänden hängt zeitgenössische Berliner Malerei. Durchaus zu kaufen.
Der Betrieb beginnt schon nachmittags, wenn auch mehr als zögerlich. Das Ende zum Morgen hin ist offen. Außer einem nicht unbeträchtlichen Anteil Stammkundschaft wird das Silberstein mitunter auch von älteren Herren besucht, die das Silberstein noch in seiner ersten Ausgabe gekannt haben wollen. Mitunter schauen auch Herren im Zweireiher mit einem goldenen Davidstern auf der Krawattennadel herein. Nebenan wird die Synagoge wieder aufgebaut.
Silberstein unter gastronomischen Gesichtspunkten betrachtet, vermag nur mäßig zu überraschen. Die Auswahl der Weine ist schmal, die Marken dennoch akzeptabel. Küche gibt es nur sporadisch, außer einem abonniertem Sandwich von der Dicke eines Rugby-Eis.
Etwas Elitäres ist allenthalben zu spüren, doch ist es symphatisch und weitaus weniger lächerlich als einschlägige Kleckerkerzen- und Literatenkaffeehäuser. Zu DDR-Zeiten war übrigens hier ein Orthopädisches Zentrum — von der Fußpflege zur Erbepflege. Na, das ist doch was. Handloique
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