: Ferien ohne blaue Wimpel im Sommerwind
■ Die Ostkinder im ersten gesamtdeutschen Sommer: Keine Ferienlager, dafür gibts Thomas Krügers Super-Ferien-Paß/ Die kleinen Westler haben schon seit Freitag große Ferien, die Ost-Kids seit heute/ Früher machten Lehrer im Ferienhort Dienst
Berlin. Sechs Sommer-Sonnen-Ferienwochen (statt der bisher im Osten üblichen acht) jagen den Eltern einigen Schrecken ein. Wie sollen ihre Sprößlinge diese Zeit sinnvoll, erholsam, geborgen beschäftigt werden? Der eigene Urlaub bemißt in diesem Jahr — wenn überhaupt — die höchstmögliche Abwesenheitszeit. Je nach Unternehmen und Vaters Stellung [und mutta'n? sezza] schwankt die Aus-Zeit zwischen langem Wochenende und 14 Tagen. Hoffentlich haben Oma und Opa ein Einsehen, und kreuzen nicht grad zum Supersparpreis durchs Mittelmeer und nehmen auch ja alle bedürftigen EnkelInnen mit raus in den Garten.
Bleiben noch Ferienlager und Hort-Ferienspiele als Relikte aus alten DDR-Zeiten. Die (Betriebs-)Ferienlager, die einstmals 60 Pfennige pro Tag kosteten, stehen verödet zum Kauf, sind schon verhökert oder, soweit in diesem Sommer noch nutzbar, kaum zu bezahlen mit 20 bis 30 Mark Tagessatz. Klar, daß da die Kids arbeitsloser Eltern und Alleinerziehender außen vor sind. (Morgenappell und blaue Wimpel im Sommerwind kritisch-ironisch aufzuarbeiten, ist hier nicht der Platz.)
»Unsere Eltern wurden verwöhnt. Sie gaben morgens ihre Kinder ab, zahlten pro Durchgang, also alle 14 Tage, eine Mark. Das Essen war in der Zeit frei. Und 25 Pfennig fürs Kinderkino oder 40 für zwei S-Bahnfahrten, die waren allemal übrig«, erinnert sich Gisela Matz, Hortleiterin an der 1. Gesamtschule Hellersdorf. Früher hatten LehrerInnen immer ein bis zwei Wochen Dienst im Ferienhort, das war eine wichtige Hilfe.
Seit gestern ist alles anders. Schule und Hort gehen getrennte Wege. Was das personell und finanziell für die Nachmittage der Sechs- bis Zehnjährigen bedeuten wird, weiß niemand. Was es finanziell für die ErzieherInnen heißt, ist durch die Medien gegangen und kränkt die Betroffenen stets aufs Neue, wenn sie davon reden: Sie werden schlechter als Lehrer eingestuft, manche nach über 30 Berufsjahren als Hilfkräfte. Mit einem Erziehervertrag dürfen sie nicht mehr unterrichten — das motiviert nicht gerade, aus dem Nichts etwas zu zaubern.
Wer etwas besser Bezahltes findet, der geht. So bleiben die Älteren, und so sind in der 1. Gesamtschule Hellersdorf im derzeitigen Hort vier der fünf Frauen über 50. In den Sommerferien betreuen sie durchschnittlich 25 Kinder. Dieser Personalschlüssel klingt toll. Aber wegen der eigenen Urlaubs werden nur jeweils zwei Kräfte da sein. Wahrscheinlich, wird schon im Sommer nächsten Jahres so verfahren wie in West-Berlin: da schließen die Kindereinrichtungen drei bis vier Wochen lang.
Der Hellersdorfer Bezirksschulrat Werner Riedel hat einstweilen zur Feriengestaltung für jede Klasse 15 Mark locker gemacht. Geld für Material ist schon lange nicht da. »Wir haben kein bißchen Klebstoffmehr. Wenn wir zu DDR-Zeiten nicht so gehortet hätten« — Blick auf den mit Zeichenblöcken und Baukästen gefüllten Schrank —, »dann könnten wir gar nichts mehr machen. Auch neue Spiele sind nötig, es gibt doch jetzt so schöne.« Das Team um Frau Matz ist genauso gespannt auf den Verlauf der Ferienspiele wie die Eltern und Kinder. Eine Veschärfung der Situation ist mit den drastischen Fahrpreiserhöhungen im August zu erwarten. Dann werden die Kaulsdorfer Kinder wohl meist auf dem Spielplatz gegenüber der Schule in der Bausdorfstraße zu finden sein.
Ferienangebote gibt es von den Freizeithäusern und Schülerzentren und natürlich vom FEZ in der Wuhlheide. Der Haken hierbei: Zum FEZ geht es morgens per Sammelbus los und gegen 16 Uhr zurück. Ein sehr langer Tag, nichts für viele Kaulsdorfer Mittagskinder. Das Bezirksamt sinnt nach Alternativen: In Arztpraxen hängen tolle Plakate mit der im Osten allgegenwärtigen Fragestellung: Sie suchen Arbeit, dann... Gemeint ist diesmal der Dienst am Kinde; Pflegemütter können sich melden.
Auch Jugendsenator Thomas Krüger hat sich etwas ausgedacht: den Super-Ferienpaß '91/'92 erstmals für ganz Berlin. Für zehn Mark können »Null- bis 18jährige«, wie es in der Pressemitteilung heißt, einmalig frei in Zoo und Tierpark, in den Botanischen Garten und in bestimmte Museen. Mit einem solchen Hosentaschen-Scheckheft, jedes mit eigenem Paßfoto, haben die Kinder zugleich eine Ferienbadekarte. Die EntdeckerInnen-Tour für Paß-BesitzerInnen heißt »Columbus in Berlin — Kids, auf zu neuen Kontinenten«. Um Frohsinn zu verbreiten, lädt Krüger zu Festen und zur Dampferfahrt.
Der Abschied von der staatlichen Kinderbetreuung fällt schwer, neue Träger sind flächendeckend noch nicht etabliert. Aber es gibt ja noch den Reiturlaub, das Sprachenlager, Hinterhof und Straße. Laura Lorenz
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