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Kaufrausch im Centrum

■ Massenansturm bei Eröffnung von Kaufhof-Filiale im »Centrum«/ Zeitweise mußte geschlossen werden

Mitte. »Ick will hier raus!« stöhnte lauthals Reiner Mertens, als er sich gegen den Strom der Masse aus dem Kaufhaus am Alexanderplatz herauskämfte. Seine Frau Ingeborg, mit Tüten bereits voll beladen, zog er hinter sich her. »Ick seh nur noch Leute«, schnaufte ihr Mann nur entnervt und dirigierte seine Frau an Menschenmassen und Musikbühne vorbei, in Richtung U-Bahn. »So schnell wie möglich nach Hause« wäre jetzt sein sehnlichster Wunsch, verriet er der taz. Ausgerechnet den 1. Juli, Tag der deutsch-deutschen Währungsunion, nutzte das Warenhausunternehmen »Kaufhof« als Tag der Neueröffnung des einstigen »Centrum«-Warenhauses am Alexanderplatz und — löste einen Massenansturm aus.

Schon am Wochenende war dieses Ereignis vorrausschauend mit einem Volksfest gefeiert worden. Showstars aller Couleur wie Frank Zander, Harald Juhnke und die »Petticoats« brachten das Publikum auf dem Alex in Schunkelstimmung. Spezialitäten wie Käsestangen, Crepes, Gulascheintopf oder chinesische Nudeln konnten mit Bier oder Sekt hinuntergespült werden. Gestern morgen 8 Uhr wurde das Kaufhaus eröffnet, bereits um 9.00 Uhr ging nichts mehr. Die Rolltreppen blieben unter der Last der Leute einfach stehen und in den Gängen drängelten sich so viele Menschen, daß das Haus wegen Überfüllung geschlossen werden mußte. Die vier Eingänge des Kaufhauses wurden den ganzen Tag schlichtweg belagert, so daß den Kauflustigen unter Aufsicht der Polizei immer nur Schubweise geöffnet werden konnte. Die Geschäftsleitung hatte mit 100.000 Kunden gerechnet, doch diese Schallmauer war bereits gegen 10.00 Uhr durchbrochen. Eine schwitzende und sich streitende Heerschar war über die 20.200 Quadratmeter Verkaufsfläche gewalzt und wühlte in den Grabbeltischen. Um Markenware zu Niedriegpreisen zu kaufen, waren die BerlinerInnen aus allen Himmelsrichtungen zusammengeströmt, doch ein Ehepaar aus Spandau wollte angesichts der Massen genauso wenig die lange Anfahrt umsonst gemacht haben, wie eine junge Mutti aus Marzahn. Wie weiland vor den Gemüseläden nach Bananen, standen hunderte vor den Kaufhof-Toren auf dem Alex, um sich in die Konsumhölle und den Kaufrausch zu stürzen. Markstein

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