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Zagreb und Belgrad sind auch in Berlin

■ Die in Berlin lebenden Jugoslawen ängstigen sich um ihre Freunde und Verwandten in der Heimat/ Die meisten sind entsetzt über den Einmarsch der Armee/ Doch die Nationalitätenkonflikte zwischen Serben, Slowenen und Kroaten zeigen sich auch hier

Berlin. Auf die militärischen Auseinandersetzungen in Slowenien haben viele in Berlin lebende Jugoslawinnen und Jugoslawen entsetzt reagiert. Sie stellen mit weit über 30.000 Menschen nach den Türken die zweitgrößte Immigrantengemeinde in unserer Stadt. Fast alle haben Verwandte und Bekannte in ihrem Heimatland und leben in ständiger Angst, daß ihnen etwas zustößt.

So auch die Dramaturgin Jasnina Njaradi. Sie versucht schon seit Tagen vergeblich, ihre Familie in Belgrad zu erreichen. Alois Ozmec, Konstrukteur bei Siemens und seit 1968 in Berlin, will bald nach Slowenien fahren. »Ich bin sehr in Sorge um meine Verwandten, habe in der letzten Woche kaum geschlafen.«

Sobald es darum geht, die aktuelle Lage in Jugoslawien zu beurteilen, scheiden sich die Geister der in Berlin lebenden 1.500 Slowenen, 8.000 Kroaten, 17.000 Serben und 2.300 jugoslawischen Albaner. »Ich glaube nicht, daß eine der Republiken als selbstständiger Staat existieren kann«, meint die 40jährige Belgraderin Jasnina Njaradi, die sich eher Jugoslawin als Serbin nennen möchte, »wir müssen einander helfen«. Jetzt, wo der Kroate Stepe Mesić endlich zum Präsidenten und somit auch zum Befehlshaber der Armee ernannt worden sei, so glaubt sie, werde sich die Lage wieder entspannen. Der Kroate Alexander Janovic ist sich da nicht so sicher. »Die Armee besteht zu achtzig Prozent aus Serben. Wer weiß, ob die auf den Präsidenten hören werden«, meint der 35jährige Ingenieur.

Die Kluft zwischen den jugoslawischen Nationalitäten tut sich auch zwischen den in Berlin lebenden Einwanderern aus dem Balkan auf. Er kenne viele Serben, erzählt der Slowene Alois Ozmec. Doch wie sich diese Beziehungen jetzt entwickeln, weiß er nicht. »Ich hasse die Serben nicht, aber wenn ich höre, wie die manchmal so proserbisch daher reden ...«, Ozmec schüttelt sich. Er jedenfalls stehe hundertprozentig hinter der slowenischen Regierung. Slowenien sei wirtschaftlich stärker, weil »die Menschen fleißig sind, die Südländer dagegen haben einfach ein langsameres Tempo«. Aber selbstverständlich könnte Slowenien in einer Konföderation auf freiwilliger Basis auch Geld an die ärmeren Republiken abgeben.

Dem serbischen Essayisten Nicolai Zivkovic ärgern solche Äußerungen. Die seit Jahrzehnten in der jugoslawischen Regierungsspitze sitzenden Slowenen und Kroaten hätten dafür gesorgt, daß sich die lukrativen Industrien in ihren Republiken ansiedeln. »Doch ohne das rohstoffreiche Serbien sind sie überhaupt nichts wert.« Die Serben, erzählt Zivkovic, der als Angehöriger der serbischen Minderheit in Kroatien aufwuchs, hätten überhaupt nichts dagegen, wenn Slowenien zur eigenständigen Republik würde.

Währenddessen reißen die Schlangen vor der Außenstelle der ungarischen Botschaft nicht ab. Weit über 3.000 Durchreisevisa wurden bereits erteilt, aufgrund des Andrangs stellen die Mitarbeiter vorerst bis Ende der Woche täglich von 9 bis 16 Uhr Visa aus. Bundesbürger können ohne Visum durch Ungarn reisen. maz

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