Anzeichen eines ganzen Problembündels-betr.: "Berichte und Meinungen der taz zu rechtsextremistischen Orientierungen bei Jugendlichen

betr.: „Berichte und Meinungen der taz zu rechtsextremistischen Orientierungen bei Jugendlichen

„Neofaschistisch“ und „rechtsradikal“ dürften die am häufigsten gebrauchten Attribute zu Hooligans und Skins sein. Ob taz, CDU oder Alternative: Für die große Koalition der Denkfaulen steht fest, daß hinter allen Jugendlichen, die in rechten Demos mitlaufen und hinter allen Hakenkreuzschmierereien eine gefestigte, faschistische Überzeugung stehen muß. Hakenkrenze können aber auch hilflose Orientierungsversuche gegenüber einer gesellschaftlichen Erfahrungswelt sein, die immer unübersichtlicher und befremdender wird. Hinter den spektakulären Auftritten sogenannter Neonazis muß daher nicht zwangsläufig ein neuer Faschismus stecken, sondern sie sind vielmehr das Anzeichen eines ganzen Bündels von Problemen.

Meines Erachtens nach werden wesentliche Momente rechtsextremistischer Orientierungsmuster in der Bevölkerung gerade dann nicht erfaßt, wenn man das Problem primär an organisierten Gruppen, Parteien beziehungsweise deren Wählerpotential festmachen würde. Um den Ursachen von Gewalt und rassistischen Handlungsweisen näher zu kommen, wäre es erfolgversprechender, die sozialen Erfahrungen von Jugendlichen vor dem Hintergrund des sozialen Umfeldes zu interpretieren, in dem rechtsextremistische Orientierungsmuster entstehen. Untersuchungen dazu haben ergeben, daß komplexe Problemlagen eher mit Ohnmachtserfahrungen, Vereinzelung, Orientierungsbedarf und Selbstwertproblemen erfaßt werden, als durch Suche nach Verführern. Dazu kommen Gefühle wie Unsicherheit, Schwäche, Einsamkeit und Angst. Diese subjektiven Problemlagen haben ihren Ursprung in der gegenwärtigen gesellschaftlichen Entwicklung, die weder durch die historische Kontinuitätsformel noch durch eine einfache Kapitalismus-Faschismus-Theorie hinreichend erklärt wird.

An Handlungsunsicherheiten Jugendlicher können rechtsextremistishe Konzepte mit ihrer Ideologie der Ungleichheit leicht Anschluß finden; Ohnmachtserfahrungen könnensich leicht in Gewalt umformen, denn sie ist attraktiv, garantiert Fremdwahrnehmung, die mit anderen Mitteln nicht mehr herstellbar ist und erweist sich aufgrund von Sozialisationserfahrungen als erfolgreiches Handlungsmodell.

Um dem entgegenzuarbeiten, müßte man gegen die inzwischen allmächtige Durchkapitalisierung dieser Gesellschaft angehen und gleichzeitig ein Konzept entwickeln, das Jugendliche nicht ausgrenzt und auf der anderen Seite die Positionen radikal bekämpft — im Sinne einer menschenfreundlichen Politik. Es hilft meines Erachtens nach nicht, wenn Jugendliche, die kaum ein geschlossenes rechtes Weltbild haben, stigmatisiert werden, wie es eben auch oft in der taz geschieht. Da Jugendliche überhaupt etwas sein wollen, nehmen sie Ettikettierungen und Rollen, die ihnen in den Medien zugewiesen werden, an. Oft werden sie durch diese Stigmatisierung erst recht den Neonazis zugetrieben.

Es hilft auch nicht, wenn Alternative/Linke das multikulturelle Alltagsleben einer Stadt gerne als ein ewig währendes, buntes Stadtfest sehen. Dabei werden Widersprüche und Konflikte des Miteinanders verdrängt. So fehlt bis zum heutigenTag zum Beispiel eine Diskussion, die sich mit den häufig autoritären, nationalistischen und sexistischen Strukturen in vielen Einwandererfamilien auseinandersetzt. Peter Konrad, Peine