: Welche Häuser gehen für die Landepisten drauf?
■ Diskussion um den Bau des Großflughafens Berlin-Brandenburg/ Die Bewohner Sperenbergs fürchten um ihre dörfliche Ruhe
Sperenberg. Der »Märkische Landmann« war am Montag abend proppenvoll. Ganz Sperenberg hatte sich im besten Lokal am Platz versammelt. Die zuständigen Senatoren und Minister aus Berlin und Potsdam waren gekommen, um Transparenz im Streit über den neuen Großflughafen Berlin-Brandenburg zu üben. Das rund 50 Kilometer südlich von Berlin gelegene Dorf Sperenberg wird als bevorzugter Standort gehandelt, was die anwesenden Bürger zu aggressiven Unterstellungen, ängstlichen Anfragen oder euphorischen Wortschwallen provozierte.
»In welchem Laden kann ich meinen Nachtschlaf kaufen«, wandte sich ein einheimischer Politmatador sichtlich erregt an Brandenburgs Umweltminister Matthias Platzeck (Bündnis 90). Und der Ex-Grüne mußte sich fragen lassen, in welcher Schublade das »Flugverkehrsvermeidungskonzept« schlummere. Verkehrsbedürfnisse seien nicht wegzudiskutieren, wehrte sich Platzeck, der als Umwelthygieniker die Lärmwerte »mit der Muttermilch eingesogen« habe, gegen die lautstarken Vorwürfe. Befürworten werde er den neuen Flughafen nur, wenn er Teil eines Gesamtverkehrskonzepts für Berlin-Brandenburg sei, wobei der Schiene unbedingten Vorrang verliehen werden müsse. Durch die Anbindung an Eisenbahn- Hochgeschwindigkeitstrassen sollten ökonomisch nicht sinnvolle und ökologisch bedenkliche Regionalflüge vermieden werden. Und natürlich sollten, wenn der neue Flughafen steht, Tempelhof, Tegel und Schönefeld dichtmachen. Darauf reagierten die Senatorenkollegen Volker Hassemer und Herwig Haase aus Berlin nur mit Kopfschütteln.
Die Berliner, so gellte es in dem Saal, wollten, »nachdem sie ihren Müll bei uns abgeladen haben«, nun auch noch ihre Verkehrsprobleme ins märkische Umland verfrachten. »Wer wird denn nach Teneriffa fliegen? Wir bestimmt nicht«, beschwerte sich ein junger Sperenberger. Im Gegenzug fragte Umweltsenator Hassemer, ob man vergessen habe, daß Berlin zum Inseldasein gezwungen war. Wer umweltpolitisch denke, könne das Chaos im städtischen Ballungsgebiet nicht sich selbst überlassen.
In Sperenberg werden durch einen Großflughafen, der den Prognosen zufolge im neuen Jahrhundert 30 bis 40 Millionen Passagiere jährlich verkraften muß, 6.000 Menschen stark belästigt. In Schönefeld-Süd (Rotberg) und der Genshagener Heide, die ebenfalls als Standorte im Gespräch sind, wären es 24.000 bzw. 13.000 Menschen.
Das Dorf in der Nähe von Luckenwalde weist aber noch andere Vorteile auf. Die abziehenden sowjetischen Truppen hinterlassen eine 2,5 Kilometer lange Flugbahn in Sperenberg — ihre größte Luftwaffenbasis in Deutschland. Die Eigentumsverhältnisse sind geklärt, weil Grund und Boden dem Bundesvermögen zugeschlagen werden. Der wichtigste Aspekt aber wäre die unkomplizierte Anbindung an das Schienennetz.
Wertvolle Naturschutzgebiete würden jedoch zerstört werden und damit auch die Träume der Raumordnungsexperten aus dem Hause Platzeck. Wenn sich Berlin künftig — wie ein ins Wasser fallender Stein — ringförmig erweitern werde, solle dieser Entwicklung mit sogenannten Grünkeilen entgegengewirkt werden. Doch durch einen Kompaktflughafen in Sperenberg und die Ansiedlung von Daimler-Benz in Ludwigsfelde würden nur kleine grüne Schnipsel übrigbleiben.
Viele Sperenberger schienen solche Einwände allerdings wenig zu berühren. Vielmehr machte das Zauberwort »Arbeitsplatz« die Runde — zwischen 20- bis 70.000 soll der Flughafen für die Region hergeben. Argwöhnisch beschnüffelten wiederum die Skeptiker im Saal die von Minister Wolf gepriesene wirtschaftliche Attraktivität eines Weltflughafens. Von gezinkten Karten war die Rede.
Die endgültige Entscheidung über den Standort soll 1992 fallen. Heute abend geht es in die zweite Runde nach Rotberg, südlich von Schönefeld. Entschlossen, ihre Häuser nicht unter Landepisten begraben zu lassen, warten dort die Bürger auf ein klärendes Gespräch. Irina Grabowsky
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