DOKUMENTATION: Slovenija — quo vadis?
■ Prinzip der territorialen Integrität vs. Volkssouveränität
Während von seiten der kommunistischen Zentralorgane der Angriff der „Volksarmee“ auf das Territorium der Republik Slowenien mit ihrer aus freien demokratischen Wahlen hervorgegangenen Regierung als verfassungskonforme „Aufrechterhaltung“ der territorialen Integrität des Bundesstaates gerechtfertigt wird, ist zunächst darauf hinzuweisen, daß im Einleitungsteil der Bundesverfassung der nach wie vor Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien in Punkt I der allgemeinen Bestimmungen ausdrücklich das „Recht jedes Volkes auf Selbstbestimmung, einschließlich des Rechts auf Abspaltung (otcjepljenje)“ verankert ist.
Entgegen der von der Rumpfregierung behaupteten Legalität des Einsatzes der Armee ist weiter festzuhalten, daß nach Artikel 313, 316, 328 sowie 335 der jugoslawischen Bundesverfassung ausschließlich dem Staatspräsidium beziehungsweise dessen Vorsitzenden als Präsidenten die Führungs- und Befehlskompetenz über den Einsatz der Bundesarmee zukommt. Auch 24 Stunden nach Beginn der militärischen Aggression lag kein eindeutiger Einsatzbefehl dieses Organs vor.
Bewußt provoziertes Verfassungsvakuum
In diesem Zusammenhang stellt sich daher überhaupt die Frage, ob das Staatspräsidium als „Rumpforgan“ der kommunistischen Mitglieder überhaupt noch als entscheidungsberechtigt im Sinne der Bundesverfassung angesehen werden konnte, da mit der wiederholten Weigerung des von der serbischen kommunistischen Führung dominierten „Blocks“, den Vertreter der Republik Kroatien, Stipe Mesić, nach der Bundesverfassung und Geschäftsordnung turnusgemäß zum Staatspräsidenten zu wählen, von seiten der kommunistischen Führung Serbiens bewußt ein Verfassungsvakuum provoziert worden war.
Diesem eindeutigen Verfassungsbruch seitens der Republik Serbien geht allerdings bereits ein anderer voraus, indem durch die Verfassung der Republik Serbien vom September 1989 der Autonomiestatus der beiden Provinzen Kosovo und Vojvodina drastisch eingeschränkt wurde, was im klaren Widerspruch zu der von der jugoslawischen Bundesverfassung den autonomen Gebieten zugesprochenen Gesetzgebungsautonomie steht. Es kann daher nur als „Zynismus“ gewertet werden, wenn serbische Delegierte im Rahmen der von Österreich im März 91 initiierten KSZE-Intervention die schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen, die im Kosovo seit 1981 seitens der Polizei Serbiens begangen werden, als „Beseitigung der privilegierten Stellung im kommunistischen Jugoslawien“ darzustellen versuchen.
Vor dem Hintergrund dieses verfassungsrechtlichen Befundes sollen nun auch kurz einige damit zusammenhängende völkerrechtliche Fragen aufgeworfen werden.
Haben vor allem in der ersten Phase nach der Unabhängigkeitserklärung die Fragen der Entstehung von neuen Staaten und deren Anerkennung durch die Staatengemeinschaft im Vordergrund des Interesses gestanden, so scheint es nunmehr geboten, angesichts der faktischen Nichtanerkennung durch die Staatengemeinschaft sich der zum gegenwärtigen Zeitpunkt entscheidenden Frage zuzuwenden, ob denn nun mit dieser Feststellung das Völkerrecht gewissermaßen am Ende sei und alles weitere der Politik oder den Militärs überlassen bleiben müsse.
Die rechtliche Beurteilung der Entstehung und Anerkennung von Staaten erhält ihre eigentliche Brisanz vor allem auch durch den (tatsächlichen oder vermeintlichen) Konflikt zwischen Anerkennung von Staaten und dem legitimen Recht auf Selbstbestimmung eines Volkes. Könnte etwa auf der Basis der oben gestellten Analyse der offenbar verfassungswidrigen Vorgangsweise der Bundesorgane der SFRJ die für die Anerkennung weitgehend unbeachtliche Frage der Legalität oder Legitimität der staatlichen Organe doch auf der Ebene des Selbstbestimmungsrechts völkerrechtlich beachtlich werden?
Sezessionsrecht
In Übereinstimmung mit den Ausführungen Doehrings in dem jüngst erschienenen Kommentar zur Satzung der Vereinten Nationen wird davon ausgegangen, daß es sich bei dem in Artikel 1 Ziffer 1 der Satzung verankerten Selbstbestimmungsrecht nicht bloß um ein politisches Programm, sondern um unmittelbares Recht handelt, was sich sowohl aus der Praxis der Staaten als auch aus zusätzlichen vertraglichen Verbürgungen (etwa in beiden UN-Menschenrechtspakten) ergebe. Rechtsträger ist das völkerrechtlich nicht näher „definierte“ Volk.
Es sollte kein Zweifel darüber bestehen, daß das slowenische Volk jedenfalls als Träger eines solchen Rechts zu qualifizieren ist; strittig hingegen kann sein, unter welchen Voraussetzungen ein Volk berechtigt ist, diesem Recht gegebenenfalls auch durch Waffengewalt Achtung zu verschaffen und auf diese Weise die Loslösung von einem bestehenden Staatsverband zu erzwingen. Im Fall Sloweniens ist jedoch die faktische Lage gerade umgekehrt, indem das Volk durch Waffengewalt daran gehindert werden soll, sein Selbstbestimmungsrecht zu realisieren. Allerdings steht das Sezessionsrecht in der Regel im Widerspruch zum Prinzip der territorialen Integrität der Staaten; die Prinzipien-Deklaration der Vereinten Nationen von 1970 gibt daher auch letzterem den Vorzug, solange die bestehende Regierung ihrerseits den Grundsatz des Selbstbestimmungsrechts respektiert und das gesamte Volk auf seinem Territorium ohne Unterschied repräsentiert — was aufgrund der Vorgehensweise Serbiens nicht der Fall ist.
Was ist also zu tun?
Zunächst bedarf es einer Korrektur der offiziellen Haltung der EG und der USA, die von der Zentralregierung offenbar als Ermutigung zu militärischem Vorgehen interpretiert wurde. Die Staaten müßten ihre „bequeme“ Haltung der Berufung auf das Verbot der Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten überdenken. Es war jedenfalls richtig, den Konsultationsmechanismus der KSZE in dieser Situation zu bemühen. Es wäre aber wohl auch eine Befassung des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen zu erwägen: Ungeachtet der Frage, ob es sich bei der gegenwärtigen Auseinandersetzung um einen internationalen Konflikt handelt, sind diese Ereignisse doch jedenfalls geeignet, den Frieden in der Region zu bedrohen.
Bewaffnete Aggression
Dabei ist immer im Auge zu behalten, daß es sich bei den militärischen Auseinandersetzungen nicht um einen ethnischen „Bürgerkrieg“ zwischen Serbien und Slowenien handelt, sondern um eine bewaffnete Aggression der kommunistischen Zentralgewalt gegenüber einer Nation, die nach langen, vergeblichen Verhandlungen auf friedliche Weise ihr Selbstbestimmungsrecht und das auch verfassungsrechtlich verankerte Recht auf Abtrennung in Anspruch genommen hat. Es wäre daher wünschenswert, daß Österreich auf internationaler Ebene die demokratische Legitimität der frei gewählten Regierungen in Laibach und Zagreb im Unterschied zur kommunistischen Zentralgewalt deutlicher hervorhebt.
Was die Vermittlungspolitik der EG betrifft — die offenbar davon ausgeht, daß existentielle politische Fragen durch die Gewährung von Wirtschaftshilfe gelöst werden können —, ist es geradezu paradox, daß diese den Effekt haben kann, die kommunistische Zentralgewalt zu stützen und damit der von Serbien bisher beharrlich vertretenen nationalistischen Haltung, daß „alle Serben in einem Staat“ leben müssen, Vorschub geleistet wird, obwohl gerade Serbien den von Slowenien und Kroatien schon lange vorgelegten Entwurf eines Konföderationsvertrages für neue politische und wirtschaftliche Grundlagen der Zusammenarbeit der jugoslawischen Völker und Nationalitäten, der in seinen institutionellen Strukturen nach dem Muster der EG gebildet ist, vehement ablehnt. Jede Wirtschaftshilfe an die Zentralmacht könnte letztlich auch zur Finanzierung des Panzerkommunismus mißbraucht werden; bisher hat ja Serbien bekanntlich nicht davor zurückgeschreckt, sich aus der in Belgrad verwalteten Bundeskasse zu bedienen. T. Borić/
Dr. H. Isak/Dr. J. Marko
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