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„Ein Eispickel in den Kopf der Trotzkisten“

Bei den Nachwahlen in Liverpool will der Labour-Vorsitzende Neil Kinnock dem linken Flügel endgültig den Garaus machen  ■ Von Ralf Sotscheck

Bei den Nachwahlen im Liverpooler Bezirk Walton geht es heute um mehr als nur einen Sitz für das britische Unterhaus. Labour-Chef Neil Kinnock will das „Militant“-Gespenst endgültig aus seiner Partei verjagen. Dazu muß der offizielle Labour- Kandidat Peter Kilfoyle jedoch einen deutlichen Sieg über Lesley Mahmood von der „Breiten Linken“, die auch von Militant unterstützt wird, erringen.

Liverpool war 1952 der Geburtsort des trotzkistischen Militant-Flügels der Labour Party. Für die Radikalisierung in der englischen Hafenstadt war zum einen die Immigration zahlloser Industriearbeiter — Liverpool gilt als „irischste Stadt Großbritanniens“ — in den dreißiger Jahren, zum anderen der Niedergang der Stadt nach dem Zweiten Weltkrieg verantwortlich. Seit 1946 beträgt die Arbeitslosigkeit in der Beatles-Stadt das Doppelte des nationalen Durchschnitts. Seit den fünfziger Jahren ist die Zahl der Hafenarbeiter von 14.000 auf 600 gefallen, die Einwohnerzahl von 800.000 auf 450.000.

Eric Heffer von der trotzkistischen „Socialist Workers' Federation“ wurde 1964 zum Labour-Abgeordneten für Liverpool-Walton gewählt. Sein Tod im Mai hat die heutigen Nachwahlen erforderlich gemacht. Mahmood (39) bezeichnet ihn als ihr Vorbild: „Er war immer gegen Zensur und haßte die stalinistischen Methoden von Kinnock & Co.“ Mahmood fehlten im vergangenen Jahr nur vier Prozent der Stimmen, um statt Kilfoyle als Labour- Kandidatin nominiert zu werden. Seitdem ist sie jedoch ein Opfer der Sozialdemokratisierung der Labour Party geworden: Weil sie die Kopfsteuer der Torys boykottierte, wurde sie im Mai aus der Partei ausgeschlossen und trat daraufhin der „Breiten Linken“ bei. Die Säuberungsaktionen in der Labour Party hatten bereits 1983 begonnen. Damals wurde die gesamte Redaktion der Militant-Zeitung aus der Partei verbannt. Drei Jahre später traf es zwölf weitere linke Stadträte, und kurz darauf wurden gar Parteibüro und Frauenrat aufgelöst.

Doch damit nicht genug: Parteiarbeiter bespitzeln die Militant-Kandidatin auf Schritt und Tritt und fotografieren alle, die sie unterstützen. Selbst durch die Fensterscheiben von Mahmoods Wahlkampfbüro werden Fotos aufgenommen. Einer der Schnüffler prophezeite, daß dadurch bereits mindestens hundert Militant- Anhänger enttarnt worden seien, die nach den Wahlen aus der Labour Party fliegen sollen: „Das war nicht nur ein Eigentor, sondern sie haben sich praktisch selbst einen Eispickel in den Kopf gejagt.“

Lesley Mahmood glaubt jedoch an ihre Rückkehr in die Labour Party: „Sie können sozialistische Ideen nicht für immer aus der Partei verbannen. Irgendwann wird Labour wieder in die Hände der Parteibasis fallen.“ Den Wahlkampf bestritt sie mit lokalen Themen, vor allem mit den geplanten Massenentlassungen im kommunalen Dienst. Dieser Plan der Labour-Verwaltung hat bereits zu einer breiten Streikwelle und einem 12.000 Tonnen schweren Müllberg auf den Straßen Liverpools geführt.

Kinnock nimmt die Herausforderung der Linken durchaus ernst: Seit Wochen gibt sich die Labour-Prominenz bei Wahlkampfveranstaltungen die Klinke in die Hand. Man befürchtet, daß der Kandidat der Liberalen, Paul Clark, am Ende der lachende Dritte beim Streit um die „echte Labour Party“ sein könnte. Ohnehin ist der Labour-Stadtrat seit den Kommunalwahlen im Mai, als Militant fünf von sechs Kandidaten durchbringen konnte, bei vielen Entscheidungen auf die Stimmen der Liberalen angewiesen.

Der erst 26jährige Tory-Kandidat Berkeley Greenwood ist dagegen chancenlos: In Liverpool bekommen die Konservativen kein Bein auf die Erde.

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