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Es ist ein seltsamer Krieg in Jugoslawien

Armee brach mühsam ausgehandelten Waffenstillstand systematisch/ Serbische Kommandos im Rücken der Bundesarmee: Weicht bloß nicht zurück!/ Slowenen sind für viele Kroaten nun Helden/ Barrikaden finden sich in fast jedem Dorf  ■ Von Erich Rathfelder

Lubljana/Zagreb — Auf dem von der Hitze des Tages aufgeweichten Teer sind die Spuren der Panzer leicht zu sehen. Die Ketten haben sich tief in die Straßendecke eingegraben. Wir sind in Kroatien, nahe der Hauptstadt Zagreb, in dem Städtchen Jastrobarsko, wo eine große Garnison der jugoslawischen Volksarmee stationert ist. Und wir — ich habe mich einem Team des slowenischen Nachrichtenmagazins ,Mladina‘ angeschlossen — wollen an diesem Tag, am späten Dienstagnachmittag beweisen, was heute schon klarer ersichtlich ist: daß die Armee den mühsam ausgehandelten Waffenstillstand mit Slowenien systematisch bricht und nicht mehr von den politischen Instanzen, ob von der Zentralregierung oder dem neuen Staatspräsidenten Mesic kontrolliert werden kann.

Die Spuren führen uns wieder nach Norden, in Richtung Slowenien, von wo wir auf Schleichwegen hergekommen sind. Endlich biegen sie auf die Hauptstraße nach Zagreb/ Ljubljana ein. Nervöse kroatische Milizionäre halten uns auf. Sie halten Panzerfäuste in den Händen, haben aber die Kolonne aus zwölf Panzern unbehelligt passieren lassen. Mit dem Hinweis, noch weitere Panzer rollten in unserem Rücken von Zagreb auf uns zu, wünschen sie uns Glück. Wir wollen weiter in Richtung Krsko fahren, wo das Atomkraftwerk liegt und nach Bresice, einem Dorf kaum zehn Kilometer entfernt, wo die slowenischen Territorialeinheiten sich ihrer Haut erwehren.

Nach etwa 20 Kilometern ist es so weit: Fünf Panzerspähwagen der jugoslawischen Volksarmee versperren uns den Weg. Notdürftig von Bäumen getarnt und in Kampfbereitschaft, stehen sieben etwas ältliche sowjetische C-34-Panzer im Gelände. Die Soldaten sind zwar von unserer Ankunft überrascht, lassen uns aber mit dem Hinweis weiterfahren, daß in fünf Kilometer Entfernung kein Weiterkommen möglich sei. Später erfahren wir, daß es sich um Einheiten mit serbischem Kommando handelte, deren Kanonen auf die weiter vorne agierenden Truppen der eigenen Armee gerichtet sind, um sie an einem Zurückweichen zu hindern.

Es ist schon ein seltsamer Krieg, denn kaum einen Kilometer von den Panzern entfernt arbeitet eine Gruppe von kroatischen Bauern auf den Feldern, wo jetzt schon das Getreide geerntet wird. Schaulustige Jugendliche stehen auf den Brücken und beobachten die Szenerie. An der kroatisch-slowenischen Grenze tauchen Lastwagenwracks auf. Die Panzer sind — weiß der Teufel, wie sie das gemacht haben — über ein Führerhaus gerollt, das nun zerquetscht wie eine Flunder am Boden liegt. Der Besitzer des Lastwagens taucht zwischen den Bäumen auf. Er wohnt in einem kleinen Dorf ein paar 100 Meter entfernt und lacht: „Ein bißchen Mühe haben sie schon gehabt, der Wagen ist wohl schon verschrottet.“ Die meisten der für die Straßensperren benutzten Lastwagen und Baumaschinen gehören privaten Firmen, erfahren wir.

Wir nähern uns weiter der Frontlinie. Hinter einer Kurve tauchen plötzlich die kämpfenden Truppen auf. Zwei Soldaten drehen sich um, richten ihre Maschinenpistolen auf uns und bedeuten uns barsch, zu verschwinden. Es ist eine etwas unkomfortable Situation. Wir drehen langsam das Auto und rasen mit Vollgas zurück. Im Hof der nahegelegenen Burg Mocrice haben sich Feuerwehrleute, Frauen und Kinder versammelt und lauschen den Nachrichten. Sie erzählen von einem Bombenangriff am Vormittag auf die Barrikaden ihres Dorfes Bresice, alle Männer des Dorfes sind Mitglieder der slowenischen Territorialarmee.

Schon am Vormittag war ein Interview mit dem am Montagabend zurückgestuften General Konrad Kolsek ausgemacht worden. Der Slowene Kolsek, bisher Oberkommandierender der Nordarmee und zuständig für die Operationen in Slowenien, wurde durch den Panzergeneral Zivota Avramovic, einem Serben, der bisher das Kommando in Skopje und damit auch in Kosovo innehatte, ersetzt. Dieser Wechsel deutet auf eine Machtübernahme der Serben in der Armee. Wir fahren nach Zagreb zum Hauptquartier des Generalstabs. Die Wachmannschaften sind übernervös und fordern uns auf, sofort zu verschwinden. Gegenüber in einem Park, mitten im Feld, ist ein Mann mit Handschellen an eine Bank gefesselt worden. Schwer bewaffnete kroatische Milizinäre erscheinen und befreien den Mann, die Wachmannschaften ziehen sich zeitweise zurück. Der Freigelassene erzählt, er habe ganz allein gegen den Krieg protestieren wollen. Wir erfahren von der Miliz, daß auf einer Autobahnbrücke Richtung Belgrad eine Kolonne von sechs Panzern und neun Panzerspähwagen von Zivilisten blockiert worden seien.

Bei der Brücke angekommen, werden wir von Zivilisten umringt und die slowenischen Kollegen heftig beklatscht. Die Slowenen, als die „deutschen Slawen“ wegen der ihnen unterstellten Korrektheit und ihres zurückhaltenden Charakters nicht überall beliebt, sind für viele Kroaten jetzt zu Helden geworden. „Wir fangen auch an zu kämpfen“, sagt ein Lastkraftwagenfahrer, dessen fast neue Volvomaschine als Barrikade gegen die Panzer dient. „Er ist noch nicht abbezahlt“, grinst er mit einer Geste, die so etwa „scheiß drauf“ bedeuten soll. „Wir wollen verhindern, daß sie nach Slowenien weiterfahren.“ Der Polizeichef der Stadt gibt an, es habe bei den Schießereien drei tote Soldaten gegeben. Wir können die Stelle jedoch nicht einsehen.

Es ist schon dämmrig geworden. Im Radio hat der Oberkommandierende General Adzic gerade eine Erklärung abgegeben, in der er alle Schuld auf die Slowenen schiebt und vorgibt, nur die Grenzen Jugoslawiens verteidigen zu wollen. Im Gegenzug bietet der slowenische Präsident Kucan für 21 Uhr wiederum eine Feuereinstellung an. Wir nähern uns dem Atomkraftwerk Krsko. Alles ist ruhig. Nichts passiert. „Hoffentlich ist alles bald vorbei“, wünscht sich ein alter Feuerwehrmann, der in der Nähe der Atomanlage seinen Dienst tut, mit einem Blick auf die Kühltürme.

In dem Dorf Bresice, wo am Morgen der Flugzeugangriff stattfand, ist inzwischen auch wieder Ruhe eingekehrt. Die Häuser um die Barrikaden sind verdunkelt. Einige Gestalten lösen sich aus der Nacht und wollen uns kontrollieren. Als sie erfahren, wer wir sind, werden wir überschwenglich begrüßt und in eine Gastwirtschaft geführt. Bei Kerzenlicht erzählen sie uns, daß sie einen Kilometer entfernt einen Panzer zerstört hätten. Der Wirt trägt die Uniform der Territorialeinheiten, einige sind in Zivil, sogenannte Brigadisten, die mit modernsten kleinkalibrigen Maschinenpistolen ausgerüstet sind. „Sollen sie nur kommen“, murmelt ein alter Mann. Er schultert sein betagtes Jagdgewehr und geht hinaus zur Barrikade. Seit gestern Morgen wird in Bresice und Krsko wieder gekämpft.

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