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Projekt „Flurstraße“ trägt Früchte

Die einst als „humanitäres Alibiprojekt“ gescholtene Wallraff-Initiative in der Duisburger Flurstraße ist ein Erfolg/ Multikulturelle Zusammenarbeit, die „über die Folklore hinausgeht“/ Von der anfänglichen Kritik ist nichts geblieben  ■ Aus Duisburg Walter Jakobs

„Die Flurstraße ist ein Projekt von dem ich nichts mehr höre und das ist eigentlich ein gutes Zeichen“, sagt Dietmar Cremer, Chef der städtischen Wohnungsgesellschaft Gebag in Duisburg. Hin und wieder steht etwas in der Lokalzeitung, aber das überregionale Medieninteresse ist längst erloschen. Anfang 1986, nach Günter Wallraffs Ankündigung, in der Flurstraße einen Teil seiner Honorare aus dem Bestseller Ganz unten in ein Wohn- und Kommunikationsprojekt zu stecken, war das ganz anders. Der 'Spiegel‘ übergoß den Kölner Autor mit Häme, weil der ausgerechnet die Flurstraße, in der das Zusammenleben zwischen Deutschen und Türken „auf natürliche Weise funktioniert“, in eine „Insel der Humanität“ verwandeln wolle. Auf ihren „Gönner“ seien die Flurstraßen-Bewohner deshalb auch „nicht gut zu sprechen“. In das gleiche Horn, nur um ein paar Töne aggressiver, stieß aus München Heinz Klaus Mertes, Chef des Fernsehmagazins „Report“-München. Der rechte Flügel-Mann der ARD sah in der Flurstraße „arme, von Wallraffs Propaganda irregeführte Menschen, die zum Spielball eines komplotthaften Werberummels wurden“ und wähnte Wallraff „nun auch noch der Schwindelei in Sachen Humanität überführt“.

Barbara Grittner, damals über die Pläne von Wallraff wenig glücklich und als Zeugin gegen ihn in Stellung gebracht, urteilt heute so: „Der Wallraff hat sich mir gegenüber sehr ordentlich aufgeführt.“ Die Postbotin wohnte 1986 in der Flurstraße 31. Von diesem Haus geht ein reizvoller, geräumiger Torbogen zur anderen Straßenseite hinüber. Nach den Vorstellungen von Wallraff und der Gebag sollte dieser Bogen zu einem Kommunikationszentrum der Straße ausgebaut werden. Das ist längst geschehen. Die von Wallraff gegründete „Stiftung Zusammenleben“ hat den Umbau mit 350.000 Mark finanziert. Darüber hinaus ist die Gebag dabei, die äußerst dürftig ausgestatteten Wohnungen — kein Bad und WC zum Teil auf dem Flur — in der gesamten Flurstraße zu modernisieren. Frau Grittner lebt inzwischen in einem anderen Haus in der Flurstraße. Sie habe „keinen Schaden gehabt, alle Umzugskosten hat Wallraff mir ersetzt“. Die Idee des Zentrums im Torbogen findet sie „gut“, aber geändert habe sich in der Straße „nicht viel“.

Flurstraße 31: Ein unscheinbares Klingelschild mit der Aufschrift „Stiftung Zusammenleben“ weist den Weg. Der gute Geist im renovierten Torbogen heißt Semra Arslan. Die türkische Geschichtslehrerin, vor sieben Jahren aus politischen Gründen aus der Türkei geflüchtet, arbeitet seit 1988 für die Stiftung. Sie organisiert Hausaufgabenhilfe für Kinder, kümmert sich um Näh-, Bauchtanz- und Sprachkurse und wird nicht selten von türkischen Frauen gerufen, wenn es in der Familie Streit und gewalttätige Übergriffe der Männer gibt. Frau Arslan kennt die Menschen der Flurstraße. Sie besuchte jede Familie und zeigt sich überzeugt, daß von der anfänglichen Kritik „nichts geblieben“ ist. Sie hat den Ärger um zerdepperte Briefkästen — „einige meiner Landsleute waren es nicht gewöhnt mit den Schlüsseln umzugehen“ — und ungeputze Treppen geschlichtet, den türkischen Kindern und Eltern beim Sprechtag in der nahe gelegenen Gesamtschule beigestanden und so manche türkische Frau zum Arzt begleitet. „Natürlich“ sei das Zusammenleben in der Straße und im Stadtteil Neudorf durch die vielfältigen Aktivitäten der Stiftung „verbessert worden“, sagt Frau Arslan. Sie selbst habe über ihre Arbeit zu vielen Deutschen einen „warmherzigen Kontakt“ gefunden. Daß Schranken überwunden wurden, glaubt auch der Tunesier Ali Houzi, einst mit Wallraff bei Thyssen arbeitend und inzwischen in der Flurstraße 31 lebend. Houzi gehört dem „Internationalen Freundeskreis e.V.“ in Neudorf an, der sich regelmäßig in den Räumen der Stiftung trifft. Der Freundeskreis, insgesamt 35 Personen aus sieben Ländern, organisiert Ausstellungen, Straßenfeste, spanische, türkische, deutsche oder tunesische Abende, bei denen dann neben der Politik auch die jeweilige nationale Küche zu ihrem Recht kommt. Ali Houzi, inzwischen als Kranfahrer bei Mannesmann beschäftigt, ist froh in der Flurstraße dabeizusein: „Die Situation hat sich verbessert, nicht finanziell, sondern vom Leben her. Ich habe viele neue Menschen kennengelernt und das wichtigste ist, daß die zu mir stehen.“ Helmut Linn, zusammen mit der türkischen Sozialarbeiterin Assia Tuna dem Freundeskreis vorstehend, spricht davon, daß sich die „Idee des Zusammenlebens in der Flurstraße durchgesetzt hat“. Dabei bilde die Wallraffsche Stiftung „die Basis“. „Wir wollen den internationalen Austausch, wobei es uns nicht um Assimilation sondern um Bewahrung der jeweiligen kulturellen Identität und um die gegenseitige Toleranz geht“, sagt Linn, im Hauptberuf Kulturamtsleiter der Stadt Duisburg. Die Aktivitäten wiesen „über die Folklore hinaus“ und würden in Kooperation mit der Stiftung „Zusammenleben“ durchgeführt. Für deren dauerhafte Existenz ist gesorgt. Nach Angaben von Wallraff verfügt die Stiftung über ein Stammkapital von 500.000 Mark. Aus Zinserträgen und nachgeschossenen Beträgen würden die laufenden Kosten bestritten. Wenn die einzige Angestellte des Vereins, Semra Arslan, derzeit noch über eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme finanziert, ab Juli ihr Gehalt von der Stiftung beziehen werde, sei mit monatlichen Kosten von circa 8.000 Mark zu rechnen. Neben der Bauinvestition von 350.000 Mark und dem Stiftungskapital in Höhe von 500.000 Mark seien bisher von ihm weitere 150.000 für die Aktivitäten der Stiftung aufgebracht worden. Vier Jahre nach Mertes infamen Gerede von der „Schwindelei in Sachen Humanität“ läßt sich die „positive Wirkung im örtlichen Bereich“, so der Gebag- Chef Cremer, nicht übersehen. Cremer ist sich sicher, daß es niemanden in der Straße gibt, „der sich den alten Zustand wieder zurückwünscht“. Wallraff-Kritikern wie Mertes habe die Straße ohnehin immer nur als „Vehikel“ im Kampf gegen den Autor gedient.

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