: Microchips statt Holzwalze
■ Die Drehorgeln sind wieder „in“ / Lambada aus der Nostalgie-Kurbel
1.200 verschiedene Melodien lassen sich dank moderner Technik diesen annodazumalischen Drehorgeln entlockenFoto: Tristan Vankann
“Vom Besen bis zum Frack stellen wir zum Domtreppenfegen alles zur Verfügung, nur küssende Jungfrauen können wir nicht ins Programm nehmen,“ grinst Günter Broszey, besser bekannt als dauerorgeldrehendes Wahrzeichen „Roland von Bremen“.
Vor rund einem Jahr eröffnete er zusammen mit seinem Partner Arthur Marten den ersten Bremer Drehorgelverleih. Mit einer Orgel hatte es angefangen. Heute stehen stolze sieben Drehorgeln
für 90 Mark pro Tag bereit.
Seine eigentliche Blütezeit hat das Instrument schon hinter sich. 1888 hatte es noch 40 Drehorgelspieler in Bremen gegeben. „Auf dem Freimarkt ging es damals besonders hoch her. Schon Friedrich der Große habe seinen Armeeveteranen zum täglichen Broterwerb Drehorgeln bauen lassen, weiß Günter Broszey zu erzählen.
Was zur alten Preußenzeit noch für rund 100 Goldmünzen erschwinglich war, dafür muß man heute schon mehr in der Brieftasche kratzen: Unter 15.000 Mark ist eine Drehorgel mit einfachster Grundausstattung nicht zu haben. Dafür kann das Produkt des Computerzeitalters aber mehr, als ihre nostalgischen
Hier bitte die
Drehorgeln
Vorbilder. Am eigentlichen Prinzip der Drehorgel hat sich nur wenig geändert. Früher öffneten Nägel und Klammern auf einer Holzwalze die Ventile unter den einzelnen Orgelpfeifen, und eine Melodie entstand. Den Luftstrom erzeugten zwei entgegengesetzt arbeitende Blasebälge, die von der Drehbewegung angeblasen wurden. „Der Drehorgelspieler ist also eigentlich ein Luftpumper,“ stellt Arthur Marten fest.
Auf so einer Holzwalze hatten aber immer nur wenige kurze Melodien Platz. Außerdem mußte die Kurbel in einem ganz bestimmten Rythmus geschwungen werden. Heutige Drehorgeln werden elektronisch gesteuert, das schräge Leiern wird dadurch unmöglich. Beliebig auswählbare
Mikrochipkassetten ersetzen die Walze. Jeder Drehmusikus kann sich aus einer Gesamtauswahl von 1.200 Kassetten sein Lieblingsrepertoire auswählen. Das früher mühsame Weiterschalten zur nächsten Melodie passiert heute auf Knopfdruck.
„Tja, etwas Nostalgie geht flöten,“ gibt auch Arthur Marten angesichts dieser technischen Finessen zu,“ dafür kann man drei Tage lang verschiedene Lieder spielen und jeder Doofe kann heute so eine Drehorgel kurbeln und handhaben.“
Bleibt nur zu fragen, was wohl Friedrichs Veteranen zu Lambadaklängen wohl gesagt hätten, die heute aus der Nostalgie-Jukebox tönen.
V.K.
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