piwik no script img

Ein Brief aus Birzeit

■ Palästinensische Hochschullehrerin schrieb nach Bremen

Birzeit 1991: Endlich bin ich wieder zu Hause. Hier im Dorf sind die Menschen müde, frustriert und haben viele Ängste. Fast jede Familie hat Angehörige in der Golfregion. Viele haben seit Monaten keine Unterstützung von ihren Angehörigen bekommen. Denn diese Angehörigen in der Golfregion sind nun selbst arm, haben ihre Arbeit oder sogar ihren Wohnsitz verloren.

Zwei Trauerfeiern fanden hier statt zum Andenken an zwei Birzeiti Männer, die in Kuwait lebten und von den Bomben getroffen wurden. Auch an anderen Orten kommen die Nachrichten über Verwandte, die durch den Krieg sterben mußten. Die zunehmenden Ängste gelten auch den Nachrichten über Folter und Tötung von Palästinensern in Kuwait.

Hier geht es unvorstellbar hart zu. Über fünfzig Menschen sind in den letzten Wochen allein aus meinem Dorf ins Gefängnis gebracht worden. Man hat das Gefühl, jeder kommt dran. Nachts horcht man nach Militärrazzien, tagsüber verdächtigt man jede Person und jedes Auto, da der Geheimdienst in zivil und mit gekidnappten arabischen Autos in die Dörfer kommt. Die Ängste, daß die jetzige Politik auf die Vertreibung der Menschen abzielt, werden immer größer. Wenn man die Arbeitsmöglichkeit den Menschen entzieht, die Bewegungsfreiheit unterbindet, die primären Menschenrechte verweigert, wandern die Menschen „freiwillig“ aus, sie werden psychisch oder physisch gebrochen. Sie drehen durch und wenden sich Selbstmordaktionen zu. Sie sagen: 'Wenn mein Leben nichts wert sein soll, warum soll das Leben der anderen einen Wert haben?' Charakteristisch für unser Straßenbild sind die vielen jungen Menschen, die auf Krücken gehen. Viele verstecken sich und lassen sich, aus Angst ins Gefängnis zu kommen, nicht behandeln.

Seit Jahren sagen wir: „Schlimmer kann es nicht werden und heute fürchten wir, daß es nur schlimmer wird.“

Sumaya Farhat-Naser

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen