: Kolumbien feiert „stille Revolution“
■ Neue Verfassung tritt in Kraft/ Präsident Gaviria: „Beginn einer neuen Demokratie“/ Eine der wichtigsten Reformen: Ehescheidung wird erlaubt/ Mehr Mitglieder des Medellin-Kartells stellen sich
Bogotá (afp/dpa/ips) — Eine „stille Revolution“ nannte Präsident Cesar Gaviria das Werk, den Beginn einer neuen Demokratie, die für „Toleranz und den Respekt für andere Meinungen“ Raum biete. Kolumbiens neue Verfassung, die seit gestern offiziell in Kraft ist, bot dem Staat eine Gelegenheit zur Selbstbeweihräucherung. In seiner feierlichen Ansprache vor der Abschlußsitzung der Verfassunggebenden Versammlung sagte Gaviria, die Verfassung sei ein „Spiegel der kolumbianischen Gesellschaft, in dem sich alle wiederfinden, die Kinder, die Jungen, die Erwachsenen, die Alten, wo die Frau einen exponierten Platz einnimmt und die Indios und andere ethnische Minderheiten wirklich zählen“.
150 Tage brauchten die Abgeordneten der vergangenes Jahr gewählten Versammlung, darunter auch Vertreter der ehemaligen Guerillabewegung M-19, um die neue Konstitution zu schreiben — ein Prozeß, der nicht ohne Pannen ablief. Als das Werk schon im wesentlichen fertig war, wurde es durch einen Computerfehler aus den zuständigen Verwaltungsarchiven gelöscht und mußte neu geschrieben werden. Bis zuletzt mußten die Beamten fieberhaft arbeiten, um die zahlreichen Fehler in der Neufassung zu berichtigen.
Strittigster Punkt war das Auslieferungsverbot für kolumbianische Staatsbürger, denen im Ausland ein Gerichtsverfahren droht. Die Klausel, die in den USA auf heftige Kritik stößt, war erst am Donnerstag mit überwältigender Mehrheit angenommen worden. Wenige Stunden später stellten sich vier hochrangige Mitglieder des Medellin-Kartells den Behörden. Sie werden ihrem Chef Pablo Escobar im Gefängnis Gesellschaft leisten, der sich bereits vor zwei Wochen unter Berufung auf das Auslieferungsverbot gestellt hatte.
Wohl die unmittelbar weitestreichende Veränderung, die sich durch die neue Verfassung ergibt, ist die Legalisierung der Ehescheidung. Rund eine Million kolumbianischer Ehepaare leben zum Teil schon seit vielen Jahren getrennt, konnten sich aber bisher nicht scheiden lassen. Weiter wird das Wahlrecht reformiert, erweiterte Minderheitenrechte werden festgelegt. Im Gesundheitswesen wird die kostenlose medizinische Versorgung von Kleinkindern in ihrem ersten Lebensjahr garantiert. Auch soll in der Zukunft die schulische Ausbildung verbessert werden und jeder Bürger ein Recht auf eine „würdevolle“ Unterkunft besitzen. Finanzminister Hommes kündigte in diesem Zusammenhang eine Finanz- und Steuerreform an.
Kurz vor Inkrafttreten des neuen Grundgesetzes hatte die Regierung den seit 1984 geltenden Ausnahmezustand aufgehoben. De facto bleibt er jedoch bis zu den Parlamentswahlen am 27. Oktober erhalten.
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