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Kopfgeburten, Raum, Bewegung

■ Filmkulissen, Filme über Filmausstatter und eine Fotoausstellung in der Akademie der Künste

Im oberen Lichthof der Akademie der Künste (West), dort wo es am heißesten ist, hängen ein paar Filmarchitekten und ihre Epigonen in den Seilen — Workshop- Teilnehmer der diesjährigen Europäischen Sommerakademie. Ihr Thema: Gebaute Illusionen, Filmphantasien zwischen Mythos und Mathematik. »Wer besorgt uns nen Drink?« »Bei dem Wetter ist Tee...« Dialoge wie im Kino. Über die und noch viel mehr ein Bericht von Rolf R. Lautenschläger

Die Glastüren zu den Studios stehen weit aufgerissen. Gardinen wehen im Luftzug. Eine klassische Szene. An Tischen basteln die Eleven kleine Modelle aus Gips und Pappe. In der kühleren Ausstellungshalle sitzen ein paar Sommerakademiker auf dem Holzfußboden zwischen den Stellwänden und diskutieren mit den angereisten Meistern aus New York, Paris und London, München, Hamburg und der Hauptstadt über einen Beruf, den es so kaum mehr gibt.

Es geht um die gute alte Zeit der Filmkulissen, der Tricks und Träume. Es geht um die Hommage an das Unwirkliche, das So-als-ob. »Bildphantasien«, »Imagination«, »Tanz und die Kamera« oder »Orte des Imaginären - Von der Höhle bis zum Sarg« sind die Themen der Workshops. Es geht um die perfekte Illusion: um die Reise zu Sets mit Zeitmaschinen, Special Effects und in surreal anmutende Räume, an Orte der totalen Fiktion. Es geht um Grenzüberschreitungen. Die gebauten Illusionen sind ein Mythos der Filmgeschichte. Fritz Langs Metropolis, Robert Wienes Caligari, Ren Clairs Es lebe die Freiheit sind die Beispiele früher Meisterwerke, in denen die visionären Kulissen und imaginären Stadtansichten verdichtete Sym-bole virtueller Realität waren. Ihre Ausstattungen waren Chiffren einer ganzen Zeit. Wie die Bauten im Licht standen, prägte die Philosophie des Films. Die zeitgenössische moderne Architektur gab das Signal für das Kino: Le Corbusiers »Villa Savoye« war Wohnhaus und »Schauplatz«. Robert Mallet Stevens, Architekt und Filmausstatter schrieb: »Das moderne Haus muß seinen Bewohnern Raum zum Träumen lassen. Es hat spielerische und symbolische Funktionen zu erfüllen.«

Abends, wenn es kühler wird und der Sonnenbrand glüht, laufen Filmstreifen über die großen Ausstatter. Nur wenig wirklich gute sind dabei: Roberto Guerras und Eila Hershons gedrehter Film über Alexandre Trauner; Jan Schlubachs Dokumentation über die alten Meister fällt dagegen ab; Pierre Kasts Filme über Claude Nicolas Ledoux und Le Corbusier oder Michaela Bueschers Film über Robert Vorhoelzer sind sehenswert.

Alexandre Trauner ist der Maler, der Poet unter den Ausstattern. Der 84jährige, in Paris lebende Künstler, erdichtete Landschaften und improvisierte Räume des Scheins — meist deshalb, weil nicht genug Geld für die Filme vorhanden war. Seine Architekturen aus Holz und Pappe, Gips und Draht visualisieren, nein atmen die Filmgleichnisse, -dramen und -reisen. Ihr ästhetischer Charakter beschleunigt die fiktiven Zusammenhänge, will gar nicht »real« sein. Trauners Filmarchitekturen für Le jour se lve, Les enfants du paradis, The Apartement oder Irma la douce gehen auf den weitesten Abstand zur Wirklichkeit. Sie erscheinen als Malerei, als Bild, als Illusionsraum, Traumfigur und Kopfgeburt jenseits der Tatsachen. »Der Filmarchitekt sieht zuerst das Bild«, schrieb Karl Machus 1930, »und zwar wie es sich gestaltet aus Hell und Dunkel, aus Licht und Schatten und aus Linie und Fläche. Er berührt das Gebiet des Malers, denn wenn er das Bild gestalten will, muß er vor allem die Gesetze der Bildkomposition in Anwendung bringen.« Trauner wendet diese Kompositionen an. Er, der mit dem Farbpinsel in der Hand vor der Kamera steht und Sujets früherer Kulissen auf eine Leinwand zaubert, quasi zum Spaß, erarbeitete die poetischen Welten, jenen »poetischen Realismus« im Film. Seine Kulissen glei- chen Bildern unerhörter Augenblicke: Die Objekte verwandeln sich zu entrückten Schemen im fahlen Licht. So steht beispielsweise das fünfstöckige Hotel aus Carns Le jour se lve (1939) wie ein einsames Symbol auf dem Platz für Gabins selbstmörderisches Leben, das er vor der Welt dort oben verschanzt.

Jan Schlubachs Film Illusionen aus Gips und Pappe (1976) dagegen ist ein typisches Fernsehfeature — mit wenig Glanz. Zusammengestoppelt aus Interviews und Stummfilmausschnitten, läßt er die legendären Szenenbildner des deutschen Stummfilms im Schnelldurchlauf vorbeirasen: Rochus Gliese, Hermann Warm, Erich Kettelhut, Herbert Ihering. Ihre Architekturen im Film sind Zeichensprache. Raum und Licht wurden erstmals suggestiv für den Film Caligari 192O eingesetzt, wie Warm erzählt. Kettelhut vereinigt Vision und Moderne in Zeichnungen, Modellen und Bauten zu Fritz Langs Metropolis 1925 zu einem magischen Realismus, den die Kulissen spektakulär ins Bild setzen. Die Errungenschaften des technologischen Fortschritts, Flugzeuge und Maschinen, Glaswolkenkratzer und Siedlungen wurden den Konzepten der architektonischen Moderne abgeschaut und stilisiert.

Das Erlebnis von Raum und Bewegung — Grundelement des Films — ist auch Thema von Pierre Kasts Film Le Corbusier, l'architecte du bonheur (1956), in dem der Architekt selbst seine avantgardistischen Bauten erklärt, die zu Vorbildern unzähliger Kulissen wurden. Das Ineinanderfließen der Räume, die geschwungenen Mauern und sanft steigenden Treppen, die Rampen und Aussichten im Haus, scheinen der filmischen Sprache adäquat. Das Gebäude selbst ist das Medium. Kasts Dokument ist eine wunderbare Liebeserklärung an die Moderne: Eine Blondine mit Kulleraugen und aerodynamischem Kostüm befragt den alten Meister, wie es denn so sei mit der Wohnmaschine. Und Le Corbusier, der Fuchs, malt ein Bild von den engen Gassen und muffigen Räumen, die allesamt aus den Städten verschwinden müßten. Statt dessen entwirft er sonnendurchflutete Zimmer und Bauten, die, auf freistehenden Stützen, aus Glas und in makellosem Weiß, Symbol der dynamischen Welt für den modernen Menschen sind. Ganz gerührt lächelt die Blonde ihn an. Sie wandeln auf dem Dach der »Unit Habitation« in Marseille. Le Corbusier schwärmt von Siedlungsbändern, die von Lissabon bis nach Indien reichen, und Wohnmaschinen für glückliche Menschen. Und wie bestellt — es ist die Schlußszene des Films — rennen Kinder auf den Meister zu und tanzen um ihn herum. Fin.

Während die Ausstellung in den oberen Räumen mit Arbeiten der zeitgenössischen Filmszenographen wehmütig versucht an die großen Ausstatter anzuknüpfen, zeigt die kleine Schau im Foyer der West-Akademie, wie Raum durch Bewegung erfaßt wird — im Tanz und Film: Um die Manipulation der Wahrnehmung von Raum und Zeit, geht es in der gemeinsamen Arbeit des Choreographen Mark Tompkins mit dem dänischen Fotografen Per Morton Abrahamsen. Während Tompkins mit den Teilnehmern der Werkstatt »Der Tanz und die Kamera« den Video- Tanz und die Komposition einer Tanzsequenz für das Monitorbild übt, dokumentieren Fotografien von Abrahamsen Tompkins Tanzprojekte in urbanen Räumen. Da entsteht in den unbewegten fotografischen Bildern der Eindruck einer gegenläufigen Dynamik zwischen Tänzern und Raum. In Bewegungsunschärfe verwischt nicht nur der Körper der schlafenden Frau auf der Treppe, sondern zugleich die Treppe selbst, als würde sie unter ihr wegrutschen. Eine Frau, die auf dem Rücken liegend mit den Beinen in der Luft zappelt, saust eine Straße wie eine schiefe Eisfläche hinab, während die Häuserfront hinter ihr absackt. Die Flucht einer Maschinenhalle wird zum sternförmig wegschießenden Raum. Als hätte die Energie der Tänzer die Hallen aus ihrer Balance gebracht, Straßen aus der Achse gekippt, den Bühnenboden weggedreht, verliert die Kulisse ihre Festigkeit. Alles befindet sich in impressionistischer Auflösung; nicht die Tänzerin im Wasser, sondern das von den Wellen gebrochen reflektierte Licht bestimmt die Wirklichkeit des Bildes. Rolf R. Lautenschläger

Die Ausstellung ist bis zum 19.7.91 in der Akademie der Künste zu sehen, täglich von 10 bis 22 Uhr. Im Rahmen der Europäischen Sommer-akademie laufen täglich Filme in der Reihe »Filmszenographie«.

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