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Nie wieder Olympia?-betr.: Berichte zur Hauptstadt-Debatte im Bundestag, taz vom 20.6.91

betr.: Berichte zur Hauptstadt- Debatte im Bundestag,

taz vom 20.6.91

Auf Olympia in Berlin beharren bedeutet, den Provinzjoker nicht ablegen wollen, den Geld- und Geltungsgaudi nach dieser erbärmlichen Hauptstadtdiskussion auf die Spitze zu treiben. Nach der unverblümten Nie-wieder-Berlin-Rhetorik darf die wiedervereinte Stadt, einzig in Deutschland, mit dem Echo antworten: „Nie wieder Olympia“, um den Geist von 1936 und seine nicht abwickelbare Haltung zu widerlegen, weniger symbolisch, aber dafür umso glaubwürdiger.

Das Wirtschaftsargument für Olympia kann auch in sein Gegenteil verkehrt werden. Berlin wird der Fülle seiner Aufgaben nur gerecht, wenn die ohnehin provisorischen Endziele für den Beginn und für die Eröffnung des nächsten Jahrtausends heute gesellschaftspolitisch konzipiert werden. Endlösungen vorzubereiten und durch Brot und Spiele wiederum von politischen Inhalten abzulenken, wäre geradewegs ein historischer „faux pas“, den es eigentlich galt, durch eine neue Berlin- und Deutschland-Politik zu vermeiden.

Nicht zuletzt in der überflüssigen, aber aufgezwungenen Hauptstadtfrage hätte das „Neue Berlin“ argumentativ unter Beweis gestellt werden können. Der schlechten Worte in diesem Treppenwitz der Berlin-Geschichte sollten keine Olympia-Großtaten mehr folgen.

Eine Großstadt vielfältiger Kultur und des Breitensports braucht kein Mega-Kommerz-Unternehmen Olympia, es sei denn, der antike Geist von Fairneß wäre zurückgekehrt zur neuzeitlichen Idee des olympischen Amateursports.

Berlin bewirbt sich sofort ohne Einschränkung zur förderativen Ausrichtung der Spiele neben seiner gefallenen Mauer, ganz im Sinne des neuen Ganz-Deutschland mit Wettkampfstätten für Schwimmer in Leipzig, für Fechter vielleicht in München, Ruderer in Hannover, Kugelstoßer in Stuttgart, Langläufer zwischen Wolfsburg und Wartburg und den Hochspringern in Bonn, einschließlich der Siegesparaden auf der Straße des 20. Juni, gänzlich unmilitärisch zwar, aber dem provisorischen Kriegsspiel Olympia durchaus angemessen, wenn auch etwas weitläufig, in bescheidener Mega- Urbanistik.

Ed Shah, (West-)Berlin

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