Münchner CSU auf Schnüffeltour in der Selbsthilfeszene

Die Selbsthilfegruppen sind der CSU ein Dorn im Auge und werden als „Selbstbedienungsläden auf Kosten der Steuerzahler“ attackiert  ■ Aus München K.L.Mühlhaus

Whiskytrinkende Sozialpädagoginnen und bierselige Schwule, gefördert von einer unseligen Koalition von Sozialreferat, Selbsthilfebeirat und „grün-roter“ Vetternwirtschaft: Die Müncher CSU schien Ungeheuerliches über die Selbsthilfeszene der bayerischen Landeshauptstadt an das Licht der Öffentlichkeit zu bringen. Doch der Frontalangriff auf „die Gruppen, die anscheinend nur sich selbst helfen“, erweist sich für den Münchner CSU-Fraktionsvorsitzenden Gerhard Bletschacher immer mehr als Rohrkrepierer.

Vor einem Monat präsentierte er stolz der Münchner Presse zwei dicke Ordner mit belastendem Beweismaterial, das die gesamte Belegschaft der CSU-Rathausriege während einer bundesweit bislang einzigartigen Schnüffeltour zusammengetragen hatte. Damit sollten zahlreiche Einrichtungen — vor allem für Schwule, Frauengruppen und Dritte-Welt-Initiativen — als „Selbstbedienungsläden“ entlarvt werden. Der wortgewaltige Bletschacher fürchtete gar, daß „wir seit Jahren die grün-rote Parteibasis mit unseren Steuergeldern unterstützen“. Nur an den Mutter-Kind-Gruppen und Ausländerinitiativen ließ die CSU ein gutes Haar.

So fanden die Amateur-Detektive bei ihren Stippvisiten in Münchens Selbsthilfeszene (angeblich hatten sie jeweils mindestens eine Stunde gedauert) wie beim „Frauentherapiezentrum“ oder dem „Dritte-Welt- Café“ kaum Klientel vor. In anderen Fällen wie bei „KID — Kontakt und Beratung Haidhausen“ und „ERGO — Frauen leben im Alter zusammen“, standen sie zu offizieller Öffnungszeit vor verschlossenen Türen. Die Räume des „Notrufes für vergewaltigte Frauen“ machten den Beobachtern einen „relativ ungepflegten und verwahrlosten Eindruck“, außerdem „standen schmutziges Geschirr und Alkoholflaschen herum“.

Noch schlimmer treibt es in den Augen der CSU-Stadträte das Schwule Kommunikations- und Kulturzentrum (Schwukk) in der Müllerstraße. Angeblich werden die über 100.000DM, mit denen das Zentrum von der Stadt jährlich gefördert wird, lediglich für eine „gemütliche Stehkneipe“ ausgegeben. Beratung finde dagehen „so gut wie gar nicht“ statt, tönte Bletschacher im Rathaus.

Im Schwulenzentrum hagelte es derweil anonyme Drohbriefe, teilweise mit faschistoidem Inhalt. Die Angegriffenen setzten daraufhin zur Gegenwehr an und schimpften auf eilig einberufenen Pressekonferenzen, daß die Kontrolleure „ziemlich uninformiert“ über die Arbeit der Selbsthilfeeinrichtungen waren, „in Beratungen einfach hereinplatzten“ und sich ohne die Begleitung von MitarbeiterInnen die einzelnen Räume angeschaut hätten. „Durch die Veröffentlichungen“, berichtet eine Mitarbeiterin des Frauentherapiezentrums, „haben inzwischen einige meiner Klientinnen enorme Schwierigkeiten mit den Männern, vor denen sie zu uns geflohen sind.“

Diese Einwände mochte Bletschacher nicht gelten lassen, wischte sie mit einer lockeren Handbewegung vom Tisch und schob den Schwarzen Peter kurzerhand wieder zurück: „Wer sich in einer so unglaublichen Dreistigkeit gegen die Besuche bei den Selbsthilfegruppen erregt, hat möglicherweise doch einiges zu verbergen.“

Inzwischen müssen sich die christsozialen Hilfssheriffs für die Art und Weise ihres Vorgehens sogar von seiten des Münchner Sozialreferenten (und CSU-Mitglieds) Hans Stützle rügen lassen. Er bemängelte im Rat der Stadt die „einseitige und vorschnelle Kritik“ seiner Parteigenossen und versuchte, mit einer umfangreichen Erklärung im Sozialhilfeausschuß Schadensbegrenzung zu betreiben.

Strenge Auswahl bei der Selbsthilfe

Ob nicht schon zuviel Vertrauensverlust entstanden ist, fragt sich mittlerweile Reinhard Fuß aus dem Vorstand des Münchner Selbsthilfezentrums, wo die Arbeit der einzelnen Gruppen koordiniert wird. Fuß verweist auf die Kontrollen, denen sich jede Münchner Selbsthilfegruppe unterwerfen muß: Zum einen sind sie verpflichtet, dem Sozialreferat „für jede ausgegebene Mark“ im jährlichen Turnus Belege vorzulegen. Zum anderen machen Beamte des Revisionsamtes stichprobenartige Untersuchungen, seitdem die institutionalisierte Förderung 1988 in München eingeführt wurde.

Allem voran steht ein strapaziöses Zulassungsverfahren für alle diejenigen an, die von der Stadt gefördert werden wollen, erläutert Gesa Tiedemann, grünes Mitglied im Sozialausschuß. So müssen die einzelnen Gruppen etliche Kriterien erfüllen. Sie sollen möglichst stadtteilorientiert sein, regionalen Bedürfnissen entsprechen und parteipolitische Neutralität wahren. Vor allem aber dürfen sie keine Gewinne erzielen und müssen so sparsam wie möglich mit den Fördergeldern umgehen. Zum Beispiel erhält eine Selbsthilfeguppe 250DM im Monat, um davon die Telefonrechnung zu bezahlen. Wird mehr Geld gebraucht, muß das Personal die Differenz aus dem eigenen Portemonnaie begleichen. Wird weniger benötigt, geht der Überschuß zurück an die Stadt.

Über Zulassung oder Nicht-Zulassung einer Initiative entscheidet in München letztendlich der Selbsthilfebeirat der Stadt. Elf Personen sitzen in diesem Gremium, vor dem sich die einzelnen Gruppen jedes Jahr aufs Neue rechtfertigen müssen: Jeweils vier Vertreter der Selbsthilfeinitiativen und der Stadtverwaltung sowie ein Mitglied, das im beiderseigen Einvernehmen berufen wird, zusätzlich je ein Entsandter von Gesundheits- und Sozialreferat. Diese Zusammensetzung läßt eigentlich darauf schließen, daß nicht jede x-beliebige Gruppe in den Genuß städtischer Finanzmittel kommt. Dennoch blieb auch diese Institution von der CSU-Kritik nicht verschont. Zu wenig Distanz zu den Gruppen, lautete der Vorwurf. „Wenn der Selbsthilfebeirat Initiativen überprüft, ist das genauso, wie wenn ich meinen Geldbeutel revisioniere — es wird schon stimmen“, so Bletschacher.

Ob die Gruppen, einmal etabliert, auch wirklich immer sparsam gearbeitet haben, kann bei der Fülle von derzeit ungefähr 800 Initiativen durchaus bezweifelt werden, heißt es aus dem Sozialreferat. Unregelmäßigkeiten sind zwar in den Jahresberichten angemahnt worden. Die Abrechnungsfehler beliefen sich jedoch ausschließlich auf kleinere Beträge. Im Sozialreferat betrachtet man die CSU-Initiative dennoch als „reinigendes Gewitter“, da sich die „Szene“ mehr und mehr verselbständigt habe. Auch Reinhard Fuß gesteht, daß das Selbsthilfezentrum den Überblick über die Münchner Gruppen ein wenig verloren habe. Entsprechend schwierig sei eine Kontrolle durch die Koordinationsstelle.

Ebenso sieht sich das Sozialreferat kaum in der Lage, die Tätigkeit jeder Selbsthilfeeinrichtung auf Herz und Nieren zu prüfen, räumt Stützle ein. Intensivere Recherchen scheiterten bislang meist am Personalmangel. In seiner Behörde hält man es denn auch für möglich, daß etwaige schwarze Schafe noch nicht entdeckt wurden.

Alles eine Frage des Steuergroschens?

Von vielen Seiten aber wird ohnehin bezweifelt, ob es den Christsozialen in Bayerns Metropole mit ihrer Attacke nur um den Steuergroschen geht. Grüne und SPD vermuten, daß es vor allem um Inhalte geht, „die den Konservativen nicht passen“. Die hätten schließlich schon immer die Frauen, „die sich neben dem Mann anders definieren“ oder radikalfeministisch auftreten, mit Mißtrauen beäugt“. Ähnliches habe jedenfalls CSU-Stadträtin Gisela Oberloher durchblicken lassen. Inhalte zu überprüfen, sei aber wohl kaum die Aufgabe ehrenamtlicher Stadträte, meint dagegen Gesa Tiedemann. Schließlich habe kaum jemand seine sozialpädagogische Ausbildung und könne daher nur schwerlich beurteilen, ob eine Selbsthilfegruppe sinnvolle Arbeit leiste oder nicht.

Andre wiederum spekulieren, die CSU habe die Selbsthilfegruppen als Wahlkampfthema auserkoren. Ähnliches äußern auch die im „Schwukk“ engagierten Männer. Ihnen gegenüber habe Bletschacher verlauten lassen, ihm als Oppositionsvertreter sei der vermeintliche Eklat „mehr als gelegen“ gekommen.

Ob die Behauptungen, die der Fraktionssprecher und seine Mannschaft aufgestellt haben, stimmen oder haltlos sind, wird nun auf Geheiß von Oberbürgermeister Georg Kronawitter das städtische Revisionsamt prüfen. Eines hat die CSU auf jeden Fall schon erreicht: Die Selbsthilfegruppen und vor allem ihre Klienten sind stark verunsichert. Ein schaler Beigeschmack wird wohl bleiben, fürchtet Fuß vom Selbsthilfezentrum. „Politisch wird es in Zukunft mit Sicherheit schwieriger für uns.“