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Jetzt geht es Nicaraguas „Helden und Märtyrern“ an den Kragen

Gedenktafeln und Namen sollen aus dem Bild der Städte verschwinden  ■ Aus Managua Ralf Leonhard

Es gibt in Managua keinen Marx-Engels-Platz und keine Lenin-Allee, nicht einmal einen Che-Guevara- Park. Da die meisten Straßen in Nicaraguas Hauptstadt keinen Namen haben oder zumindest niemand diese Namen kennt, sind es öffentliche Gebäude und Institutionen, die dem Gedenken an die Helden — nicht der Weltrevolution, sondern des Vaterlandes — dienen. An Silvio Mayorga, einen der Gründer der Sandinistischen Befreiungsfront, der 1967 im vernichtenden Gefecht in den Bergen von Pancasan fiel, würden sich nur noch die Veteranen aus der Guerilla erinnern, wenn nicht das Gebäude des Innenministeriums seinen Namen trüge. Das Baseball-Stadion ist nach dem Somoza-Attentäter Rigoberto Lopez Perez benannt, der Flughafen nach dem Befreiungshelden Augusto C. Sandino. Auch der pazifische Ölhafen Puerto Somoza wurde nach dem Sturz des Diktators in Puerto Sandino umgetauft. Jeder Markt, jede Bankfiliale, ja selbst jede staatliche Schweinemast oder Geflügelfarm erinnert an einen Guerillakommandanten oder Freiheitskämpfer. Die Erinnerung an alle jene, die ihr Leben für die Revolution und die nationale Befreiung gegeben haben, soll in der Bevölkerung am Leben bleiben.

Jetzt soll es der Mehrzahl dieser „Helden und Märtyrer“, wie sie im sandinistischen Sprachgebrauch kollektiv genannt werden, posthum an den Kragen gehen. Parlamentspräsident Alfredo Cesar hat am Dienstag eine Vorlage an den Ausschuß für Sport und Kultur weitergeleitet, der massenhaften Umbenennungen den Weg bereiten soll. Die Initiative verstößt gegen das sogenannte „Übergangsabkommen“, mit dem die Sandinisten und die gewählte Regierung letztes Jahr die Rahmenbedingungen für einen reibungslosen Machtwechsel absteckten. In diesem Dokument ließen sich die Sandinisten zusichern, daß das Andenken der Helden und Märtyrer auch von der neuen Regierung respektiert würde. Erste Reklamationen gab es bereits, als im Außenministerium ein Porträt der einstigen Guerillakommandantin, späteren Vizeministerin und UNO- Botschafterin Nora Astorga, die vor drei Jahren an Krebs starb, durch das Konterfei der Präsidentin ersetzt wurde. Auch die Entfernung einer unauffälligen Ho-Chi-Minh-Büste „aus straßenbaulichen Gründen“ löste Proteste der Opposition aus. Doch mit dem jüngsten Vorschlag geht es an die Substanz. Die Sandinisten fürchten einen Vergeltungsfeldzug des rechten Regierungsflügels und des faschistoiden Bürgermeisters Arnoldo Aleman gegen die Erinnerung an die Revolutionsepoche. Jetzt fehle nur noch, daß das Reiterstandbild Somozas wieder auf den Sockel gehoben würde, polemisierte ein lokales Medium.

Der Zeitpunkt ist gut gewählt, denn die FSLN-Funktionäre sind mit sich selbst und den Vorbereitungen zum ersten Parteikongreß beschäftigt, der am 19. Juli dieses Jahres beginnt. Außerdem kann die sandinistische Parlamentsfraktion nicht mitdiskutieren, weil sie sich Mitte Juni bis auf weiteres aus der Nationalversammlung zurückgezogen hat. Anlaß war ebenfalls ein von Alfredo Cesar lancierter Antrag, der sich gegen die Übertragung von Häusern und Grundstücken während der letzten Wochen sandinistischer Regierung richtet.

Die Annullierung der damals erlassenen Gesetze würde nicht nur rund tausend Comandantes und Ex- Funktionären, deren Angehörigen und Geliebten sowie Müttern von Helden und Märtyrern und anderen Protegés der Revolution das Haus streitig machen, sondern auch der Delogierung von Zehntausenden Familien den Weg bereiten, die für ihr Haus noch keinen Eigentumstitel erworben haben. Die Eigentumsfrage ist Gegenstand von Verhandlungen im Rahmen der sogenannten „Konzertierung“ der sozialen Kräfte unter der Regie der Regierung.

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