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„Wir wollen Slowenien nicht als zehntes Bundesland“

In Klagenfurt, dem Zentrum der slowenischen Minderheit in Österreich, glaubt kaum einer an Frieden in Jugoslawien/ Doch das Gerede vom Anschluß Sloweniens an die Alpenrepublik halten die meisten für „a bißerl sentimental“  ■ Aus Klagenfurt Heide Platen

Benjamin ist sehr stolz: Sieben prächtige Einsen zieren das Zeugnis, mit dem er in die Sommerferien gehen darf. Mehr und bessere Noten als sie der Achtjährige diesmal bekommen hat, gibt es auch gar nicht an der einzigen zweisprachigen Schule in Österreich, die sowohl Slowenisch als auch Deutsch unterrichtet. Die Privatschule wird von der katholischen Hermangora-Bruderschaft betrieben und erhält, betont Direktorin Marica Hartmann, von Stadt und Land „keinen Schilling“. Die fünf LehrerInnen allerdings werden vom Staat Österreich bezahlt. Sie nehmen an diesem Vormittag unter Gelächter und Aufregung das Defilee der Mädchen und Jungen ab, die ihnen als Dank zum Ende des Schuljahres Blumensträuße überreichen.

Die Hermangora-Bruderschaft ist stolz auf ihre Liberalität. Sie unterrichtet nicht nur Kinder österreichischer Slowenen ohne Ansehen der Konfession, sondern auch die österreichischer Eltern, die einfach Wert darauf legen, daß ihre Kinder die Sprache lernen, die ebenso von einer österreichischen Minderheit wie im Nachbarland gesprochen wird. Für diese Kinder, sagt Marica Hartmann, ist der Anfang schwer, weil in den Klassen immer abwechselnd an einem Tag slowenisch und am nächsten deutsch gesprochen werden muß. Der Erfolg ist deutlich hörbar. Die Kinder unterhalten sich eifrig in zwei Sprachen — ohne selbst so recht zu merken, in welch rasantem Tempo sie von der einen in die andere wechseln.

Im Foyer der Schule stehen die Eltern, vorwiegend slowenische Intellektuelle, Lehrer, Ärzte, UnternehmerInnen, ein Sozialarbeiter. Sie alle sind am Tag der Zeugnisverteilung angespannt, weil sie in Gedanken beim Kriegsgeschehen jenseits der Grenze sind. Mit den Kindern ist bisher „nicht viel“ über den Krieg geredet worden. Marica Hartmann richtet sich da vor allem nach den Wünschen der Eltern, die Freunde und Verwandte in Slowenien haben.

Klagenfurt ist ein Zentrum der österreichischen Slowenen. Nach einer offiziellen Zählung leben allein in Kärnten 16.000. Inoffiziell sind es, sagt der Kleinunternehmer und Übersetzer Peter Wieser, aber wesentlich mehr, rund 60.000. Seit dem 7. Jahrhundert siedeln sie in Kärnten, gründeten hier ihr selbständiges Reich Karatanien. Hier haben auch heute noch die beiden österreichischen Dachorganisationen ihren Sitz, der „Rat der Kärntner Slowenen“ und der „Zentralverband slowenischer Organisationen in Kärnten“. Sie trennten sich nach 1945. Der „Rat“ sei, erklärt Wieser, „eher christlich-katholisch“ orientiert, der „Zentralverband“ mehr linksliberal.

Wieser wehrt sich heftig gegen Berichte, nach denen in Kärnten und in der Steiermark der Chauvinismus blühe und Slowenien und Kroatien „heim ins Reich“ geholt werden sollten. Solche Töne kämen nur „von einer verschwindenden Minderheit“. Eher schon, meint er, gebe es das auf der anderen Seite der Grenze. Manche Slowenen hätten es, zum Beispiel um Maribor herum, vielleicht ganz gern, sich Österreich wieder anzuschließen. Das sei aber nicht ernst zu nehmen, „a bißerl sentimental halt, mit k. u. k. und Kaiserreich“.

Marijan Pipp, Zentralsekretär des Rates der Slowenen, residiert gleich um die Ecke. Am Eingang hängt ein Schild, das Flüchtlingen aus Jugoslawien den Weg zur Notaufnahme weist. Seine Organisation habe alleine schon fast 400 Menschen untergebracht. Allerdings, das sieht auch er mit Überraschung, ist der erwartete Ansturm ausgeblieben. Die wenigen, die hier Schutz gesucht haben, sind Frauen mit ihren Kindern. Vor allem die Offiziere der territorialen Verteidigung und politisch bekannte und exponierte Männer, die gewarnt worden seien, hätten ihre Familien in Sicherheit gebracht, die dann aber selber sofort zurückgekehrt seien. Pipp ist immer noch erschüttert von Szenen, als er Menschen aufnehmen mußte, die „aus dem Ausland“ kamen: jugoslawische Sportler, Reisegruppen, Fernfahrer, die heimkehren wollten und vor der gesperrten Grenze standen: „Die wollten unbedingt zu ihren Familien!“

Nein, sagt auch er, die österreichischen Slowenen wollen sicher nicht, daß Slowenien Österreichs „zehntes Bundesland“ wird. Sie sind auch keine so homogene Gruppe, sondern in ihren Berufen und ihren politischen Orientierungen eigentlich „ein Spiegelbild des gesamten österreichischen Spektrums“, verbunden eher durch die Sprache, die von vielen eben noch gepflegt werde. Mit den Rechten um den umstrittenen FPÖ-Obmann Haider hätten die meisten schon deshalb nichts zu schaffen, weil der sich im letzten Herbst gegen die zweisprachige Handelsakademie in Klagenfurt ausgesprochen habe. Außerdem hätten viele österreichische Slowenen im antifaschistischen Widerstand gekämpft, auch Priester, „allerdings mehr im Hintergrund“.

An einem Punkt ist allerdings mit Pipp so wenig zu reden wie mit allen anderen Slowenen dies- und jenseits der Grenze. An einen Frieden zwischen den ethnischen Gruppen in Jugoslawien kann er auf lange Sicht nicht glauben. Das liege, sagt er wie alle anderen auch, „an den Serben“. Er gesteht ihnen aber zu, durch Propaganda und mangelnde Information „von oben“ aufgehetzt worden zu sein.

Da unterscheidet er sich von einer empörten Slowenin, die in Ljubljana war, als dort die serbischen Mütter ihre Söhne abholen wollten. Slowenische Frauen hätten sich zu einem Empfangskomitee bereitgestellt und Blumen überreichen wollen: „Die haben die Blumen nicht genommen!“

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