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Schlange stehen statt Urlaub machen

Die Krise in Jugoslawien macht einen dicken Strich durch die Urlaubspläne Tausender türkischer und kurdischer Immigrantenfamilien/ Fahrt in die Heimat dauert mehr als doppelt so lange/ Tagelanges Warten auf ein Transitvisum  ■ Von Vera Gaserow

Berlin (taz) — „Eine Scheiße ist das, eine ganz verdammte Scheiße!“ Was anderes fällt Mahmut K. für das, was ihm und Tausenden seiner türkischen und kurdischen Landsleute derzeit widerfährt, kaum noch ein. Seit einer Woche schon wollte Mahmut auf dem Weg Richtung Heimat sein. Aber statt bei der Familienfeier im heimischen Dorf seinen Tee zu schlürfen, steht Mahmut sich nun seit zweieinhalb Tagen vor der ungarischen Botschaft am Brandenburger Tor die Beine in den Bauch. Der Bürgerkrieg in Jugoslawien hat Tausenden von Immigrantenfamilien einen dicken Strich durch die Urlaubspläne gemacht. Denn ausgerechnet jetzt, wo in vielen Bundesländern die Ferien angefangen haben und die Koffer für den lang herbeigesehnten, alljährlichen Besuch zu Hause gepackt sind, ist die Hauptreiseroute versperrt. Die Grenzübergänge nach Jugoslawien sind dicht. Dort wo eine Einreise noch möglich ist, ist die Lage zumindest äußerst unsicher. Die Flüge in die Türkei sind längst ausgebucht, und die besonders Pfiffigen, die über Italien auf dem Seeweg ihr Glück versuchen wollten, stehen jetzt mit ihren vollgepackten Autos am Kai von Brindisi. Bis Ende August, so meldet das gut funktionierende informelle Informationsnetz der türkischen community nach Berlin, Rüsselsheim oder Wolfsburg zurück, geht von diesem Seehafen nichts mehr. Bleibt also nur der Landweg durch Ungarn und die Tschechoslowakei oder Ungarn, Rumänien und Bulgarien. Letzteres eine Route, die nach Aussagen des ADAC „sehr problematisch ist“. Mit Kat oder nur bleifrei-trinkenden Autos kommt „man gar nicht erst durch“. Überdies werden Wartezeiten von 48 Stunden an der bulgarisch- rumänischen Grenze gemeldet.

„Wo ich sonst drei Tage brauchte, dauert die Reise nun doppelt so lang“, klagt Mahmut, und das frißt die ohnehin knapp bemessenen Urlaubstage auf. Und egal welche Route er auch wählt: als türkischer Staatsbürger braucht er für jedes der Transitländer ein gültiges Visum. Das gibt es zwar auch an den jeweiligen Grenzen, nur bedeutet das stundenlange, wenn nicht gar tagelange Wartezeiten in sengender Hitze, mit den quengelnden Kindern auf der Rückbank und entnervten Schweißausbrüchen hinter dem Lenkrad. Weil „die Kinder die Warterei doch gar nicht durchstehen“, übt Mahmut sich deshalb lieber vorab im Schlange-Stehen vor der ungarischen Botschaft in Ost-Berlin. Zu Hunderten stehen hier seit Tagen Berliner Türken und Kurden für den ersehnten Stempel an. Einige haben ihren Platz in der Warteschlange auch über Nacht nicht verlassen, die Hartnäckigsten stehen seit Freitag abend hier. Unter Polizeibewachung ist hier eine schwerfällige Prozedur zu bewältigen: sich auf eine Liste eintragen, warten, in ein gerade mal hüftbreites Gitterspalier eingelassen werden, warten, im Minutentakt einen Schritt vorrücken, warten, eine Nummer in die Hand gedrückt bekommen und dann am nächsten Tag wiederkommen, um die ähnliche Prozedur beim Abholen des Visums zu absolvieren. Nur von 9 bis 13 Uhr öffnet die ungarische Botschaft ihre Pforten. Wer in dieser Zeit nicht rechtzeitig vorgerückt ist, hat Pech gehabt. Nicht mehr als 100 Anträge nimmt das Botschaftspersonal pro Tag entgegen, wobei jeder Antragsteller Formulare für bis zu neun weitere Angehörige einreichen kann. Wie lange die Abwicklung dauert, wenn auch nur die Hälfte der 125.000 in Berlin lebenden türkischen Staatsbürger jetzt Urlaub in der Türkei machen will, läßt sich leicht ausrechnen.

Ein paar Straßenecken weiter, an der tschechischen Botschaft, wiederholt sich das Anstehen für ein Visum, nur daß die diplomatische Bürokratie hier mit großem Entgegenkommen zügig arbeitet und das Visum innerhalb eines einzigen Tages ausgefertigt ist. Ein teurer Spaß ist das Unterfangen aber trotzdem. 42 DM pro Nase für die Durchreise kassiert die CSFR, stolze 60 DM kostet der Transit durch Ungarn. Der Urlaub 1991, er kommt die meisten türkischen Familien derzeit einige hundert Mark teurer als geplant. Aber so ist das eben mit der Politik, meint Mahmut, „eine ganz schöne Scheiße“.

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