piwik no script img

Friedensplan mit Schönheitsfehlern

■ Durch den in der Nacht zum Montag nach langem Ringen erreichten Kompromiß zwischen Slowenien und der Zentralregierung ist der Konflikt in Jugoslawien zunächst entschärft worden. Allerdings fehlte...

Friedensplan mit Schönheitsfehlern Durch den in der Nacht zum Montag nach langem Ringen erreichten Kompromiß zwischen Slowenien und der Zentralregierung ist der Konflikt in Jugoslawien zunächst entschärft worden. Allerdings fehlte beim Gipfeltreffen der Politiker auf der Adria-Insel das Militär. Und am Kompromiß von Brioni soll sich jetzt innerhalb der slowenischen Führung ein Machtkampf entzündet haben.

Die Hoffnungen währten nicht lange. Bereits wenige Stunden nachdem sich die EG-Außenminister, die sogenannte EG- Troika, mit jugoslawischen, slowenischen und kroatischen Spitzenpolitikern auf einen Kompromiß zur Entschärfung des Nationalitätenkonfliktes einigen konnten, wurde dieser von Sloweniens Ministerpräsident Lojze Peterle wieder in Frage gestellt. Wie nicht anders zu erwarten, ging es um den umstrittensten Absatz der elf Punkte umfassenden Vereinbarung (siehe Dokumentation): Im Gegensatz zu Sloweniens Präsident Milan Kucan sind weder Peterle noch der slowenische Parlamentspräsident France Bucar bereit, die an den Grenzen der „souveränen“ Republik erhobenen Zölle in die Kassen des Bundesstaates abzuführen. Die letztendliche Entscheidung über die Annahme des Kompromisses liegt jedoch beim Parlament in Ljubljana. Bei der für heute oder morgen erwarteten Sitzung wird es zu heftigen Auseinandersetzungen kommen.

Die slowenische Verhandlungsdelegation hat es sich jedoch nicht leicht gemacht. Noch in den späten Abendstunden waren die Meldungen alles andere als erfolgversprechend. Abgelehnt wurde unter anderem ein Vorschlag der EG-Minister, der für Slowenien eine dem Freistaat Bayern vergleichbare Position einräumte. Daß der Kompromiß auf wackligen Beinen ruht, wurde auch aus den Worten des niederländischen Außenministers van den Broek deutlich. Nach seiner Rückkehr aus Jugoslawien sagte er: „Wir fühlen uns, als hätten wir einen Vulkan zum Stillstand gebracht, von dem wir gehofft hatten, daß er niemals ausbrechen würde.“ Wieder einmal habe man gemerkt, daß man sich in Jugoslawien befinde. Und weiter: „Es handelt sich um eine Übereinkunft, die hier und dort Einblick in tiefsitzende dramatische Schwierigkeiten gewährt.“ Als Alternative zum Bürgerkrieg gebe es aber nur Verhandlungen, doch überkomme einen ein Gefühl der Hilflosigkeit bei dem Versuch, den Haß auszuräumen und die Menschen zu einem sinnvollen, sachlichen Dialog zu bewegen.

Bevölkerung sieht keinen Grund zur Euphorie

Mit großer Skepsis hatten auch die elektronischen Medien Jugoslawiens auf den nach einer sechzehnstündigen Marathonverhandlung erzielten Kompromiß reagiert. Den Optimismus der beteiligten Politiker ließen sie dabei nicht gelten. Zu oft sprachen diese in den letzten Wochen von Durchbruch — und es folgten bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen. Auch die Bevölkerung verhält sich vorerst abwartend, zu euphorisch klangen die Worte des neuen jugoslawischen Staatspräsidenten Stipe Mesic, als daß man ihnen Glauben schenken könnte: „Mit dem heutigen Tag beginnt der Frieden in Jugoslawien“, sagte Mesic knapp und lächelnd im Fernsehen.

Das größte Manko der Verhandlungen auf der idyllischen Adria-Insel Brioni, Residenzort aller jugoslawischen Könige und später des kommunistischen Herrschers Tito, war denn auch, daß die Bundesarmee am Gipfeltreffen der Politiker gar nicht teilnahm. Doch sie ist der wichtigste Machtfaktor in der Krise um Slowenien, sie ist es, die selbst laut Mesic ohne Absprache mit den Bundesorganen handelt. Im Augenblick weiß noch niemand, wie die Armee, die selbst von heftigen inneren Kämpfen erschüttert ist, reagieren wird.

Zwar blieb es am Sonntag im „abtrünnigen“ Slowenien verhältnismäßig ruhig — die Armee ließ das Ultimatum an die slowenische Regierung zur Übernahme der Grenzen durch Bundeseinheiten ohne Reaktion verstreichen. Aber in den Abendstunden legte der slowenische Verteidigungsminister Janez Jansa eine „geheime Rede“ des Generalstabschefs Blagoje Adzic vor, die dieser in den Morgenstunden vor hohen Offizieren gehalten haben soll. Demnach wies Adzic die Streitkräfte an, einen neuen Angriff auf Slowenien vorzubereiten. Man könne mit Slowenien in zehn bis fünfzehn Tagen fertigwerden, soll der Generalstabschef gesagt haben. Mit allen Mitteln müsse Slowenien gezwungen werden, Teil Jugoslawiens zu bleiben. Und Jansa wörtlich: „Die Armee macht, was sie will, es ist völlig klar, die Regierung ist letztendlich in der Hand der Armee, sie ist gegen diese Armee machtlos.“ Auch jetzt habe die Armeespitze angekündigt, sie werde alle Beschlüsse von Brioni überprüfen, sie werde sie gutheißen oder ablehnen. So sei es auch in den letzten Wochen gewesen: Die Armee habe immer die letzte Entscheidungen getroffen.

Erfüllt hat die slowenische Bürgerwehr inzwischen ein weiteres Ultimatum des Oberkommandos. Dieses hatte erneut mit einer militärischen Operation gedroht, wenn Slowenien nicht bereit sein sollte, die restlichen der über 2.000 gefangenen Soldaten freizulassen. Doch die Annahme des Elf-Punkte-Kompromisses ist nicht nur vom slowenischen Parlament und der jugoslawischen Armee abhängig. Zustimmen müssen außerdem die Bundesregierung und das Staatspräsidium. Letzteres tagte am Montag abend erneut ohne Vertreter Sloweniens. Die Begründung: Ohne Billigung des Kompromisses durch das Parlament in Ljubljana sei eine Beteiligung nicht möglich. Offen bleibt außerdem, ob die größte Republik, Serbien, das am stärksten für den Status quo in Jugoslawien eintritt, diesen Maßnahmenkatalog ebenfalls uneingeschränkt akzeptieren wird. Der serbische Vertreter hatte die Verhandlungen am Sonntag im Staatspräsidium ohne jede Begründung bereits am Nachmittag verlassen.

Und noch ein Ereignis wirft einen großen Schatten auf den Friedensplan in Brioni. Während die Politiker in idyllischer Umgebung verhandelten, lieferten sich im kroatischen Slawonien serbische Freischärler und paramilitärische Einheiten der kroatischen Miliz blutige Feuergefechte. Letzte Bilanz: zwölf Tote. Die Gesamtzahl der Opfer erhöhte sich damit auf über achtzig. Unter den Toten der kriegerischen Auseinandersetzungen waren allein 39 Soldaten der jugoslawischen Armee, acht slowenische Soldaten und Polizisten, zehn Ausländer und fünf Zivilpersonen. Hofwiler/Herre

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen