Vom Gebärzwang unter Ceausescu zur Massenabtreibung aus Armut

Abtreibung und Verhütungsmittel waren zu Zeiten des Conducatore tabu und sind heute unerschwinglich/ Abtreibung wird deshalb für viele Frauen zur Verhütungsmethode/ Im vergangenen Jahr starben 400 Frauen als Opfer von Pfuschern  ■ Aus Bukarest Roland Hofwiler

Unter dem rumänischen Diktator Nicolae Ceausescu war die staatliche Kontrolle der weiblichen Reproduktionsorgane allgegenwärtig. Alle zwei Wochen wurden die Arbeiterinnen während der Arbeitszeit in Begleitung einer „vertrauenswürdigen“ Person des Betriebes zum Gynäkologen zur Untersuchung gebracht. Zur Vorbeugung von Gebärmutterkrebs, wie es offiziel hieß. Der wahre Grund, den jeder kannte, war die Früherkennung von Schwangerschaften. Denn das kleine Volk der Rumänen sollte zu großer Blüte erwachen, und deshalb war Kinderreichtum vonnöten.

Wo immer es möglich war, zeigte sich der Conducatore von Kindern umringt. In den Kindergärten hing ein übergroßes Porträt von Ceausescu, darunter verkündeten Parolen: „Ein Haus ohne Kinder ist wie ein Garten ohne Blumen“ oder „Der größte Sohn unseres Vaterlandes, Genosse Nicolae Ceausescu, ist der Vater aller Kinder“. In gewisser Hinsicht stimmte dieser Satz: Jede Art Verhütungsmittel, selbst unsichere sowjetische Kondome, waren im Reich des Conducatore verboten. Schon der Versuch der Abtreibung war verboten, in den Kreißsälen wachte die Polizei. Rechtsanwälte berichten, die Hälfte aller Straftaten seien damals von Frauen begangen worden, die keine Kinder (mehr) haben wollten. Seit dem Sturz des Conducatore hat sich die Situation radikal geändert. Abtreibung ist legal, auch nach dem dritten Monat wird sie vielerorts noch vorgenommen. Sie kostet achtzig Lei — der Preis von zehn Eiern oder zwei Kilogramm Kartoffeln. Doch was Verhütungsmittel angeht, ist die Situation katastrophal. Das Land liegt wirtschaftlich am Boden, an allen Arten von Medikamenten herrscht Mangel, darunter auch an Verhütungsmitteln, die ausschließlich auf dem Schwarzmarkt zu erstehen sind. Gut betuchte RumänInnen legen für eine Jahrespackung Anti-Baby-Pillen ein Drittel eines Monatslohns auf den Ladentisch. Über alternative Methoden der Geburtenkontrolle wird von keiner staatlichen Stelle informiert: In der Öffentlichkeit ist Verhütung nach wie vor ein Tabuthema.

Fast eine Million Abtreibungen durchgeführt

Die Folgen dieser Situation lassen sich in Zahlen ausdrücken. Nach einer Einschätzung des seriösen Oppositionsblatts 'Romania libera‘ wurden im vergangenen Jahr in Rumänien fast eine Million Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen, vierhundert Frauen kamen dabei ums Leben. Die Tendenz ist steigend. Laut 'Romania libera‘ sind die Pfuscher aus Ceausescus Zeiten erneut ganz groß im Geschäft.

Die Ärzte, die schon unter dem Conducatore eine heimliche Anlaufadresse waren und nicht selten mit den Staatsorganen unter einer Decke steckten, „nehmen nun wie am Fließband Abtreibungen vor“. Ohne Anästhesie, mit alten, angerosteten Instrumenten, ohne Betten für die erholungsbedürftigen Frauen. Selbst in Bukarest werden keine Betten bereitgestellt, auf dem Land dienen Privatwohnungen als Praxis.

Gynäkologen Ceausescus von der Bildfläche verschwunden

In einem Kommentar fragte 'Romania libera‘ kürzlich: „Wo sind all die Gynäkologen geblieben, die einst unter Ceausescu die angebliche Früherkennung von Gebärmutterkrebs durchführten? Die hatten doch ausgezeichnete Arbeitsbedingungen. Sind diese Praxen nun allein der politischen und wirtschaftlichen Oberschicht von heute vorbehalten?

Bislang ist noch kein organisierter Frauenprotest gegen diese Mißstände entstanden. Doch im vergangenen Mai gründeten rumänische Nationalisten der „Kulturbewegung Vatra Romaneasca“ — ein Abbild der großrussischen antisemitischen Pamjat — die Bewegung „Pro Vita — Brincoveanu“. Fürst Brincoveanu war in grauer Vorzeit ein Herrscher, unter dem das rumänische Volk „zu großer Blüte“ erwachte . Die Nationalisten machen kein Hehl aus ihrem Ziel: Da die Bevölkerung schrumpfe, müßten alle Arten der Empfängnisverhütung verboten werden, Abtreibungen seien eine „Schande“ für das rumänische Volk. Ein wahrer Patriot liebe Kinder. Wie sagte der Conducatore so gerne: „Ein Haus ohne Kinder ist wie ein Garten ohne Blumen.“