piwik no script img

Nach dem Abwickeln im Markt positionieren

■ Veranstaltung im Ostberliner Rundfunkhaus zum Thema »Umschulung, Weiterbildung und Arbeitsbeschaffung«

Friedrichshain. Ratlos umringen die drei Frauen den Tisch mit den gelben Waschzetteln. Sie sind allesamt Tontechnikerinnen beim Ostberliner Rundfunk und an diesem Dienstag nachmittag in den Block G ihres Hauses gekommen, um sich über Umschulungs- und Weiterbildungsmaßnahmen zu informieren. Denn bald werden sie, wie weitere 7.000 Kollegen des ehemaligen DDR-Rundfunks, »abgewickelt«, also entlassen. »Was für Chancen wir in Zukunft überhaupt noch haben, das wollen wir hier erfahren«, sagt eine der Frauen und greift sich eines der Blätter. Das ausgelegte Informationspapier mit dem Kürzel UWA (Umschulung-Weiterbildung-Arbeitsbeschaffung) suggeriert zumindestens optisch rosige Perspektiven: Überall herrsche »großer Bedarf« — allerdings nicht an Tontechnikerinnen, sondern an Computergrafikerinnen, PR-Assistentinnen, CAD- Frauen und anderen hochtrabenden Berufsbezeichnungen. Angesichts des einseitigen Angebots platzt einer der Frauen schließlich der Kragen: »Lächerlich, mit 53 fang ich doch nicht als Versicherungskauffrau an, das ist doch völlig aussichtslos«.

Solch spontane und wütende Reaktion bleibt an diesem sommerlich- schwülen Nachmittag jedoch die Ausnahme. Denn die meisten Interessenten, darunter überwiegend Frauen, haben Angst, wollen sich nicht äußern. Und wenn, dann ergehen sie sich in Andeutungen, wie die 45jährige Tontechnikerin, die auf die Frage nach der Stimmung sybillinisch antwortet: »Das können Sie ja in den Zeitungen lesen.«

Um so gesprächiger sind die Macher des UWA-Programms. Allen voran Ferdi Breidbach, der Leiter des Weiterbildungsprogrammes. Seinen Widersacher, den Vize-Intendanten Jörg Hildebrandt ist er los, seitdem dieser erst vor kurzem vom Rundfunkintendanten und CSU- Freund Rudolf Mühlfenzl in die Wüste geschickt worden war. Hildebrandt, ständiger Querulant im autoritären Hause Mühlfenzl, hatte es gewagt, das Umschulungsprogramm als »eine vordergründige, nur auf öffentliche Beruhigung bedachte Maßnahme« zu kritisieren.

An diesem Nachmitag, da das UWA-Programm zum ersten Mal in den frisch renovierten Räumen im Block G vorgestellt wird, gibt sich Breidbach locker-lässig und so optimistisch, wie er es als langjähriger PR-Mann des Zigarettenherstellers Philip Morris wohl gelernt haben mag. Immerhin habe man doch acht Bildungsträger zusammengebracht, neben den Privaten sei sogar die »Deutsche Angestelltengewerkschaft« (DAG) mit von der Partie. Kritik an der Art und Dauer der überwiegend auf sechs bis zwölf Monate angelegten 20 Kurse weist er zurück: »Es ist eine Fehleinschätzung zu glauben, daß ein Kurs länger sein muß, um besser zu sein. Was zählt ist der Inhalt — und danach richtet sich die Zeitdauer.«

600 Interessierte sollen sich, so Breidbach, vorab für das UWA- Programm angemeldet haben. Doch von einem Massenansturm kann keine Rede sein. Bis zum späten Nachmittag tröpfeln nur wenige ein, mehr als fünfzig sind es nicht. Gelangweilt ziehen die Berater ihre Runden auf dem Gang oder sitzen däumchendrehend in ihren Schulungsräumen. Manch einer spekuliert über die schlechte Vorbereitung oder ergeht sich in Lamentos über die allgemeine Scheu der Ostler vor dem Neuen.

Das Neue, was UWA den Abzuwickelnden anbietet, entspricht schlicht dem Zeitgeist: Vorbereiten für den freien Markt heißt die Devise. Im ersten Raum gleich neben der Eingangstür geben Bernd Griener und Klaus Weigert vom privaten Nürnberger Fortbildungsinstitut »TIP« ihr Credo zum besten: »Wer jetzt umdenkt, der erspart sich spätere Illusionen.« Denn Illusionen sollen sich die ehemaligen DDR- Hörfunkjournalisten, die bei TIP in zwölf Monaten zur »Medienfachfrau« oder zum »Medienfachman« für die Privatradios umgepolt werden, nicht machen. Ziel ist der »Allroundjournalist«, wie Weigert erklärt. Also jene Kreatur, die dem Radioverleger Moderator, Rechercheur, Archivar, Plattenaufleger und Journalist in einem ist. Weigert, der den »Rundfunkjournalisten« in seinem Sprachschatz schon durch den »Radiomacher« ersetzt hat, faßt das Ziel bündig zusammen: »Die Leute werden dann später nach ihren Fähigkeiten im Markt positioniert«. Für Elisabeth Heller, Musikredakteurin bei »Radio Aktuell« im Berliner Rundfunk, ist der Zug längst abgefahren. Noch genießt sie als Alleinstehende mit Kind Kündigungsschutz. Aber Hoffnungen, mit 42 Jahren noch einmal »positioniert« zu werden, hat sie keine. »Hauptsache«, sagt sie, »ich kann später irgendwo mit Menschen zusammenarbeiten.« Severin Weiland

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen