: Volkshochschulnero im Wandermusical
■ »5.000 Fingers of Dr. T.« im Eiszeit
Für 7 1/2 Millionen Deutsche, die unter dem anerkannten »Klaviertrauma« leiden, gibt es nun Linderung, wenn nicht sogar Heilung. Die ständigen Hautrötungen und der immergleiche Schüttelfrost dieser Tastentraumatisierten beim Anblick der schwarzweißen Zweierreihe können nun verschwinden nach einem Besuch des Films Die 5.000 Finger des Dr. T.. Da sich überall auf der Welt Menschen durch sinnloses Klavierspielenüben mißbraucht fühlen und dieser Zustand kein Ende zu nehmen schien, entschloß sich 1952 der Amerikaner Roy Rowland, mit einem packenden Spielfilm die Weltöffentlichkeit über diesen Mißstand zu informieren.
Roy Rowland hatte gerade nach seinem Actionrenner Gib Gas, Joe seine Westernübung Die schwarzen Reiter von Dakota fertiggestellt und hatte sowieso vor, einmal etwas mehr Tiefenpsychologisches auszuprobieren: Der kleine Tommy sitzt an seinem Klavier und würgt soeben im Stakkato eine Melodie durch die Tonleiter, als Dr. Caligari alias Dr. T. mit seinem Cape den living-room durchschweift und seine Klavieranweisungen gibt. Arglos werkelt die Witwenmutter des kleinen Tommy mit dem Kuchenteig in der Küche, während auf dem Küchenboden der gutaussehende Klempner Johnny herumkriecht. Johnny ist natürlich Tommys Wunschvater, denn er kann fischen, schnitzen und Witze erzählen, was Dr. T. nicht kann. Doch die gutmütige Busenmutter hält Dr. T. für eine gute Partie, resigniert schläft Tommy an der Klimperbox ein und fängt an zu träumen.
Für das Amerika der 50er Jahre war keine Schote zu dick, mit der die geheimen Ängste der Bürger ausgemalt werden konnten. Mitten in der McCarthy-Ära gedreht, bietet Die 5.000 Finger des Dr. T. keineswegs Übertriebenes, wenn Dr. T. als Volkshochschulnero durch sein von Todeszäunen umgebenes Musikinstitut wandelt und 500 Kinder gleichzeitig an einem Riesenpiano für den großen Auftritt drillt.
Doch die Filmarchitektur neigt sich keineswegs zum phantastischen Ideal der perfekten Riesenküche mit Chrom und elektrischem Vollservice à la Raumschiff Orion, sondern läßt noch einmal deutschen Expressionismus pur aufleben. Kein gerader Winkel, kein Licht ohne Suchscheinwerferwirkung und nibelungengetreu in Fell gekleidete Musikanten, die im tiefsten Kerker mit aufwendiger Sklavenchoreographie auf dem ganzen Orchester der Instrumente spielen, die Dr. T. so haßt. Doch zum größten Schreck versucht die Bela- Lugosi-Type das große Tabu zu brechen, nämlich die Mutter »zu nehmen«, und die ist auch noch willig! Und der Klempner findet das o.k., was für ein Alptraum!
Doch dem Wundermusical wurde kein großer Erfolg beschieden, in Deutschland wurde es nie aufgeführt und ähnlich der seelisch verwandten »Prisoner-Serie« aus den 60er Jahren bleibt es ein Einzelstück (und Leckerbissen). Peter Niedetzki
5.000 Fingers of Dr. T. , USA 1953, OF, 88 Min.,ab heute im Eiszeit, täglich, 21.30 Uhr.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen