KOMMENTAR
: Glashaus fürs Parlament

■ Zur »Sparpolitik« des Berliner Abgeordnetenhauses

Der Kampf der Bürgermeister ist eröffnet. Überraschend kam die Attacke nicht, zu der der Neuköllner Bezirksbürgermeister Frank Bielka gestern geblasen hat. Erstaunlich ist eher, wie lange sich die Westberliner Bezirkspolitiker im Verteilungskampf zurückgehalten haben. Aber Bielka hat sich offensichtlich gut vorbereitet. Vergleiche zwischen der Finanzaustattung in den Westbezirken einerseits und den Stadtteilen im Osten andererseits sind zur Zeit zwar kaum zulässig, weil die Bedingungen völlig unterschiedliche sind. Daß die betroffenen Bürger diese Vergleiche trotzdem ziehen, müßte auch dem Finanzsenator klar sein. Pieroth muß noch einige Hausaufgaben erledigen, wenn er seinen Sparkurs nicht nur ankündigen, sondern auch begründen und durchhalten will. Daß der Osten Vorrang haben muß, läßt sich nicht bestreiten. Wenn im Westen trotzdem Ausnahmen vom Investitionsstopp möglich sind, kann der Finanzsenator darüber nicht freihändig und im stillen Amtskämmerlein entscheiden. Er muß präzise Begründungen und rationale Kriterien nachliefern.

Den größten anzunehmenden Unfug treibt zur Zeit aber nicht Pieroth, sondern das Parlament. Mit dem Rathaus Schöneberg haben die Abgeordneten ein funktionierendes Sitzungsgebäude. Trotzdem scheuen sie keine Kosten, um sich im Preußischen Landtag ein neues Tagungsgebäude zu schaffen. Dringend nötige Kitas, Schulen und Jugendheime streichen die Abgeordneten ohne Hemmungen. Gleichzeitig haben sie sich bis heute nicht zu einem Beschluß durchgerungen, die mit 241 Sitzen grotesk aufgeblähte Mandatszahl zu reduzieren — und sie bewilligen sich 114 Millionen Mark, ohne dabei auch nur mit der Wimper zu zucken. Was die Parlamentarier sich im Preußischen Landtag einrichten lassen, ist kein Plenarsaal, sondern ein Glashaus. Steine werfen geht nicht mehr — es fehlen die Argumente. Hans-Martin Tillack