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Speck pur und mit Pelle

■ Nackte Körper, auch ausladende, haben im richtigen Ambiente eine eigene Ästhetik. In Stretchkleidern gezwängte Figuren hingegen wirken meist obzön. Sommerliche Impressionen aus Budapest

Nackte Körper, auch ausladende, haben im richtigen Ambiente eine eigene Ästhetik. In Stretchkleider gezwängte Figuren hingegen wirken meist obszön.

Sommerliche Impressionen aus Budapest von DOROTHEE WENNER

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ie Bäder in Budapest schließen so um sechs oder sieben. Nach vollendeter Pediküre zwängen ältere Damen dann ihre Füße zurück ins Schuhwerk, andere kommen mit lebhaft durchbluteten Gesichtern aus den Kabinen und setzen sich unter die Trockenhauben. Die Türen quietschen unablässig, und am Ausgang sind Leinentücher zu hohen Kochwäschebergen aufgetürmt. Im Innern der Hallen, in gekachelten Gängen mit verrosteten Leitungsrohren, sorgen Bademeisterinnen für Ordnung. Weil sie dabei mit viel Wasser in Berührung kommen, ziehen einige von ihnen kurz vor Feierabend die weißen Kittel aus und entblößen ihre Leiber, die von großen Unterhosen und geräumigen Büstenhaltern umspannt werden. Wie die Nacktheit der Heilbadenden, ist die ihre weiblich-würdig und wirkt marmorhaft, je stattlicher die Statur. Das Licht in den von allem Profanen abgeschlossenen Badetempeln nimmt dem Anblick des weißen Fleisches jede Obszönität. In diesem Ambiente sehen die nackten Bikini- Schönheiten, die sich nur vereinzelt und gebräunt in den Warmwasserbecken treiben lassen, wie machtlose Propagandistinnen der „beach- health-fun“-Kultur aus. Als Touristin aus dem Westen können einem an diesem Ort schön-kultivierter Nacktheit merkwürdige Gedanken über ein Modediktat kommen, das sich jenseits der Badehäuser völlig ungeniert durchgesetzt hat.

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n Budapests Straßen strafft sich derzeit die „Stretchware“, eine Fortentwicklung des Badeanzugstoffes, wie eine endlos lange Wurstpelle über unzählige Frauenkörper. Mit tschibo-frechen, in die Augen stechenden Farben wie Apfelshampoogrün, Meisterproppergelb, Schulmädchenrosa und Fantaorange. „Stretchware“ ist das Gegenteil erotischer Verhüllung, es ist eine pornographische Pseudo-Kleidung. Das durch viel Gummi charakterisierte Textil gibt als Minirock jede Delle in den nicht mehr so ganz festen Ärschen der jungen Muttis lechzenden Männerblicken preis. Als bauchfreies Top ähnelt es einer permanent überhörten Ermahnung, die Schultern nicht so hängen zu lassen. Die oft schlauchförmigen Schnitte enden meist genau an den Stellen, wo der Speck sich zu rollen beginnt, und lassen ihm hämisch freien Lauf. „Stretchware“ stellt angezogen eine fiese Nacktheit zur Schau, eine, über die ständig und umsonst verfügt werden darf, weil sonst ja alles so teuer geworden ist. In den schwierigen Zeiten des Umbruchs scheint es ein kapitalistisches Trostpflästerchen auf Kosten der Frauenwürde zu sein. Ein Rätsel bleibt, was soviel mehr Ostfrauen als Westfrauen suggeriert, diese Kleidung sei ein auf dem Körper getragenes „Ja“ zur Freiheit.

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ielleicht steckt mehr dahinter, eine Verschwörung, ein Komplott?, denke ich, die einmal auf das im Stoff eingewobene „Jederzeit-bereit-Phänomen“ sensibilisierte Westtouristin beim Besuch einiger Budapester Nachtlokale: die Spuren eines zwanghaft-ubiquitären, Lebenslust suggerierenden Strandlebens waren überall zu entdecken. Und eben diese Inneneinrichtungen scheinen über die richtige, also badetaugliche Kleidung der Besucherinnen zu wachen. Im „Casablanca“, wo „girls free“ an der Kasse steht, zieren realistisch-große Stoff- und Papierpalmen die Bühne und Tanzfläche. Mit tropischen Bastmatten verkleidet sind die Wände im Szene-Treff „Tilos as A“, darüber erstrecken sich warme Sonnenuntergangsfarben bis an den Decken-Himmel, und der Diskjockey legt so lange Karibik-Musik auf, bis statt Bier Bacardi bestellt wird. Da, wo sich die Herrschaften gesetzteren Alters amüsieren, im neueröffneten „Ocean“, da sprudelt Wasser aus allen Winkeln. In aquariumsähnlichen Behältern unter der Theke und an der Wand, als künstlicher, von innen beleuchteter Wasserfall, fließt es in einer Plexiglassäule von der Decke herab. An dieses Objekt lehnen sich Freundinnen in schwarzen, mit Silberfäden melierten Stretchkleidern, in denen sie — würden sie pitschnaß werden — genau richtig angezogen wirken...

Nicht, daß Stretchmode in diesem Sommer eine exklusiv Budapester Erscheinung ist. Aber die stark abzeichnenden Kleidungsstücke werden dort mit einer auffallenden Entschlossenheit getragen. Vielleicht würde dieser Trend auch gar nicht so kolonialistisch wirken, wenn nicht diese geradezu aggressiv bekundete Strandbesessenheit in so scharfem Kontrast zu der anderen, der ungarischen Badekultur stünde.

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