: Zum Teufel mit den Beelzebübereien
Das 14.Freiburger Theaterfestival „Lust auf Hölle“ ■ Von Martin Halter
Einzig die unheilige Dreifaltigkeit des Bösen, Gefährlichen und Gewalttätigen vermag das allseits versicherte und moralisch rundum vergatterte Individuum noch aus seiner Ruhe aufzuscheuchen. Andererseits tritt der wüste Schrecken — darüber wachen schon Polizei und Feuerwehr — außerhalb der Medien gewöhnlich gebändigt, durch Schönheit (oder jedenfalls ästhetische Sedative) gebannt auf. Wenn das 14.Freiburger Theaterfestival Lust auf Hölle zu machen versprach, so war das demnach nicht ganz wörtlich zu nehmen — und wenn es in der Hölle doch einmal zu heiß hergehen sollte, immer noch als sozialpädagogischer Denkanstoß und „Triebfeder künstlerischer Produktion“ zu entschuldigen.
Die schlimmste Teufelei hatte ohnehin der scheidende Regierungspräsident ausgeheckt. Mitten ins Theaterfestival platzte die Entscheidung des designierten Staatsbrauereichefs Norbert Nothelfer, die bleiverseuchte Gießereihalle — für die Szene ein unverzichtbares „soziokulturelles Zentrum“, für ihn aber nur die Hölle eines „rechtsfreien Raumes“ — mit Hilfe der Lärmschutzverordnung auszuräuchern. Die millionenschwere Sanierung der Halle, die der mitveranstaltende „Arbeitskreis Alternative Kultur“ (AAK) der Stadt 1989 abgerungen hatte, untersagte der CDU-Nothelfer jetzt mit der scheinheiligen Begründung, eine lärmintensive „Vergnügungsstätte“ sei mit dem Wohncharakter des Stadtteils — immerhin handelt es sich um die alternative Hochburg „Im Grün“, die zungunsten des hier geplanten Tagungs- und Kongreßzentrums geschleift werden soll — unverträglich: die Stadtverwaltung trug natürlich öffentlich Trauer und atmete heimlich auf. Die Maschinen-Performance Blei der Gruppe BBM, für die sich die stark geforderten Zuschauer, nicht nur des Bleistaubs wegen, in futuristische Schutzanzüge zwängen mußten, war so womöglich die letzte Vorstellung in der Gießereihalle. Das E-Werk, das die Stadt jetzt als Ausweich- Spielplatz favorisiert, wollen die dort beheimateten Künstler durchaus nicht mit dem AAK teilen. „Wir fahren eine klare Sponsorschiene“, ließ der Vorstand sofort wissen, und da könne ein alternativer Ruch nur schaden.
Aufgelassene Fabrikhallen, in denen kobolzende Automaten das Publikum knufften und herumscheuchten; Gruppen mit so martialischen Kürzeln wie RA.M.M., DNTT oder eben BBM, die unter infernalischen Rhythmen den Teufel „Technik“ mit dem Beelbezuben Maschinensturm, Mythos und Muskelkraft austrieben (nach solch einem knietief in Blut, Öl und Autoschrott watenden RA.M.M.-Happening, Revolutionäre embryonale Stauforschung geheißen, das mit jeder Killer-Car- Show mithalten konnte, mahnte die Lokalpresse besorgt Polizeischutz und Sanitäter an); die mittlerweile fast legendäre katalanische Theatergruppe „La Fura dels Baus“, die in ihrem (alten) Stück SUZ/O/SUZ das Tier im Manne — halb Sau, halb Tarzan — dergestalt entfesselte, daß den enthusiastisch verängstigten Zuschauern die Fleischfetzen, Mehlsäcke, Blutkübel nur so um die Ohren flogen; eine mit Räucherstäbchen illuminierte Mishima-Gedenkveranstaltung und ein Vortrag des Wiener Satanologen Josepf Dvorak über „professionellen Satanismus“; „Fluchblätter“, in denen Carl Hegemann, als Dramaturg eine Art Cohn- Bendit der Städtischen Bühnen, „Angst und Schrecken, Gewalt und Tod“ verhieß: Wahrhaftig, in Freiburg war eine Woche lang der Teufel los.
Versteht sich, daß das Höllenspektakel von manchen dann doch beim Wort genommen wurde. Die katholische Kirche beließ es bei einem Stirnrunzeln, aber der evangelische Dekan warnte in seinem Sendbrief vor „Ansteckungsgefahr“: Die Hölle, auch die auf Erden, sei ein zu ernstes Ding, um sie zum „Gaumenkitzel“ für ästhetische Gourmets zu erniedrigen. Eine Gruppe fundamentalistischer Christen (die 1989 — nach dem unverdächtigen Zeugnis atheistischer Wissenschaftler — bei einer Bohrung in Sibirien das „Geschrei unzähliger Stimmen“ und sogar das Triumphgeheul des immer noch kommunistischen Dämons vernommen haben will) verteilte täglich missionarische Flugblätter und proklamierte auf Transparenten ihre „Lust auf Himmel“. Und eine Frauengruppe schließlich, die lieber ihre sanften und „warmen“ Kulturbestrebungen gefördert gesehen hätte, wandte sich empört gegen die „Männerträume von Gewalt, Zerstörung und Voyeurismus“. Kurzum: Die Provokation war gelungen. Die letzte Vorstellung des Festivals, ein pyromanisches Märchen der Londoner Akrobatengruppe DNTT, ging sogar in allerhöchstem Blitz- und Donnergrollen unter.
Natürlich floß nur Theaterblut, auch wenn die Grenze zwischen Schauspiel und Wirklichkeit in einigen brenzligen Situationen verschwamm. La Fura dels Baus etwa, deren Gastspiel zweifellos der Höhepunkt des Festivals war, kontrolliert, wie ihre deutsches Mitglied Jürgen Müller aus dem Nähkästchen plauderte, ihre — bei aller Spontaneität wohl inszenierten — männlichen Aggressions-, Regressions- und Initiationsrituale sehr wohl. Aber die Aufhebung der Trennung zwischen Theater und Leben, Akteuren und Publikum, Innen und Außen, die Antonin Artaud, der verrückte Ahnherr des Aktionstheaters einst beschwor, gelingt inSUZ/O/SUZ auf eine unmittelbar physische Weise. Mehr als bei ihren deutschen Nachahmern — bei BBM entfalten die Maschinen, in zweiwöchiger Arbeit installiert und binnen einer halben Stunde dekonstruiert, ein eher putziges Eigenleben; und die Racheakte von RA.M.M. an Autos oder Schreibmaschinen, die doch „soziale Deformationen“ enthüllen sollten, erinnerten vollends an spätpubertäre Materialschlachten — zielt „Fura“ tiefer, in die Magengrube des Zuschauers. Der Ruf, „Die spielen wie die Sau“ (Müller), eilt ihnen wie Donnerhall voraus, und mit diesem angst- und lustbewehrten Voyeurismus kokettieren sie auch. Ihr Stück ist ein archaisches Fest, die Feier der männlichen Urhorde, in deren Lebensäußerungen — Kampf und Geburt, Essen und Musik — Gewalt und Zärtlichkeit eine Bluthochzeit eingehen. Wenn die neun halbnackten Berserker mit Motorsägen, Autoreifen und Gasbomben auf die Menge losgehen, ist kathartische Selbsterfahrung garantiert: Aus seiner Lethargie gerissen, erfährt der Zuschauer am eigenen Leibe, was „Theater der Grausamkeit“ sein kann.
Wie ein rationalistischer Fremdkörper in diesem sinnlichen Teufelswerk mutete da die „Rhetorische Oper“ Bazon Brocks an. In seiner bizarren „Selbsterregung“, Wir wollen Gott und damit Basta!, wettert der Wuppertaler Ästhetikprofessor gegen die fundamentalistischen „Tätertypen der 80er Jahre“ von Handke und Botho Strauß bis Bohrer und Syberberg. Dabei gehört ein Erlebnisfestival wie Lust auf Hölle doch erst recht zu jenen „Erzwingungsstrategien“, mit denen die Scharlatane des Kulturbetriebs innerweltliche Transzendenz und große Gefühle erpressen wollen.
Zeremonienmeister Hegemann, der vorher noch mit diabolischer Wollust die „Faszination des Furchtbaren“ jenseits von Gut und Böse beschworen hatte, wollte am Ende das Festival nur noch als mephistophelischen Beitrag zur Kommunikationsförderung und zum Gebrauch der Vernunft verstanden wissen. Sehr zum Verdruß der Hardliner, die so viel wohlmeinde Harmlosigkeit als Kommerzspektakel und „pures Design“ geißelten.
Der klassische Schöneitsbegriff, soviel erhellte auch ein Vortrag der Tübinger Bataillistin Claudia Gehrke, ist ein männliches Konstrukt, das die lebensdampfende Weiblickeit auf Distanz halten will: Das Schöne ist des Schrecklichen Anfang. Auch wenn es Schrecklicheres geben sollte als ihre männlichen Bierbäuche und „Urinflecken auf dem Klodeckel“ und Schöneres als den ethnologisch verbürgten Verzehr „gebackener männlicher Geschlechtsteile“. Leider lassen sich solche archaischen weiblichen Initiationsriten aber so wenig wiederbeleben wie ihre männlichen Pendants. Alles bloß Theater, bestenfalls.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen