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Steht Kroatien ein neuer Krieg bevor?

■ Rund hundert Menschen kamen bisher bei Zusammenstößen in Slawonien um/ Chef der Luftwaffe droht mit Beschießung kroatischer Stellungen/ Abtrünnige Republiken haben ihre eigene Währung

Belgrad (ap) — Die jugoslawische Regierung befürchtet eine Eskalation der blutigen Zusammenstöße besonders in Kroatien bis hin zum offenen Bürgerkrieg. In einer gestern in Belgrad veröffentlichten Erklärung heißt es, die „Behörden des Bundes und der Republiken verlieren zunehmend die Kontrolle über die Ereignisse“. Nach Serbien signalisierte unterdessen auch Montenegro Zustimmung zur Sezession Sloweniens, das sich am 25. Juni für unabhängig erklärt hatte. Das kollektive Statspräsidium in Belgrad erörterte den Alleingang der Armee, der Ende Juni zu dem achttägigen Krieg in Slowenien geführt hatte.

In der Erklärung der Regierung heißt es, die Situation in einigen Teilen des Landes, insbesondere aber in Kroatien, verschlechtere sich zusehends und drohe in schwere bewaffnete Konflikte umzuschlagen. Rund hundert Menschen starben nach behördlichen Angaben bereits bei den Zusammenstößen in den vergangenen Monaten allein in der kroatischen Region Slawonien.

Unterdessen kamen zwei kroatische Polizisten im Bordwaffenfeuer jugoslawischer Militärflugzeuge in Slawonien um, zwei weitere wurden schwer verletzt. Der Chef der Luftwaffen, Zvonko Jurjevic, drohte mit der entschlossenen Bekämpfung aller Bodenziele, von denen aus Flugzeuge beschossen würden. Die Luftwaffe werde ihre Flüge im jugoslawischen Luftraum fortsetzen. Zuvor hatte Slowenien mit der Beschießung von „Spionageflugzeugen“ und von Armeehubschraubern gedroht, die sich nicht an genehmigte Flugkorridore hielten. Zuvor hatte Ministerpräsident Ante Markovic alle Streitparteien zum Frieden aufgerufen. Eine Fortsetzung der Kämpfe bedeute eine Katastrophe für Jugoslawien.

Die beiden Nordrepubliken Slowenien und Kroatien machten gestern auch erste Schritte zu einer eigenen Geldpolitik: Slowenien kündigte Bons als Dinar-Ersatz an, Kroatien brachte in eigener Regie 2,2 Milliarden Dinar (169 Millionen Mark) neues Geld auf den Markt. Die Zentralbank hatte die zwei Republiken Ende Juni aus dem jugoslawischen Geldmarkt ausgeschlossen.

Der stellvertretende Staatspräsident, Branko Kostic, hatte am Donnerstag abend im Belgrader Fernsehen erklärt, er glaube persönlich, daß „Slowenien für Jugoslawien abgeschrieben“ sei. Kostic ist der Vertreter Montenegros, ein enger Verbündeter Serbiens. Der serbische Präsident Slobodan Milosevic hatte vergangene Woche ebenfalls erklärt, Slowenien könne den Bundesstaat verlassen, wenn dies friedlich geschehe.

Außerdem zeichnete Kostic die Beratungen über die Intervention der Armee in Slowenien nach. Bei Beginn der Operationen am 27. Juni war das Staatspräsidium, das zugleich Oberbefehlshaber der Armee ist, nicht funktionsfähig. Kostic sagte, es gebe die Möglichkeiten der Unterdrückung der Unabhängkeit Sloweniens mit Waffengewalt oder eines „normalen, geordneten Abzuges aus einer Region“. Unterdessen bereitete die EG-Vorausabteilung im deutschen Generalkonsulat in Zagreb und im niederländischen Generalkonsulat in Ljubljana Hauptquartiere für die Waffenstillstandsbeobachter vor. Die Vorausabteilung erhielt noch keine Unterschriften unter ein Memorandum der EG-Außenminister vom Mittwoch, das die Tätigkeit der bis zu 50 Beobachter regeln soll. Der dreimonatige Waffenstillstand soll förmlich beginnen, wenn alle beteiligten Seiten unterzeichnet haben.

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