Türkische Polizei belagert Diyarbakir

■ Kurdische Oppositionelle vermuten, daß die USA die Türkei bei der Aufstandsbekämpfung in Kurdistan unterstützt

Berlin (taz) — Zwei Tage nach dem Massaker türkischer Polizisten an einer kurdischen Trauergemeinde suchen die Menschen in Diyarbakir immer noch nach ihren Opfern. Nicht einmal die Toten waren bis gestern gezählt. Zugleich verstärkten die türkischen Sondereinsatzkommandos ihre Präsenz. Panzerfahrzeuge patroullierten durch die Straßen der 250.000-Einwohner-Stadt, in der auch gestern zahlreiche Geschäfte aus Protest geschlossen blieben. Oppositionelle befürchten, daß ein neuerlicher massiver Einsatz vorbereitet wird. Heute sollen die ersten Trauerfeiern für die Opfer des Blutbads vom Mittwoch stattfinden.

Die türkischen Behörden behaupten, drei Menschen seien bei der Beerdigung des ermordeten Oppositionspolitikers Vedat Aydin „ums Leben gekommen“. Kurdische Oppositionelle hingegen wissen von mindestens 20 Erschossenen, die Namen von 15 Toten, darunter auch ein 14jähriger Junge, sind bereits bekannt. Bis gestern weigerte sich die Polizei, ihre Leichen herauszugeben. Von den rund 600 Menschen haben zahlreiche Schußverletzungen am Kopf — Folge der gezielten Schüsse der Polizisten auf bestimmte Personen in der Menge.

In Großbritannien und den Niederlanden fanden gestern Protestveranstaltungen statt. In Köln ist für heute (Samstag, 11 Uhr am Ebertplatz) eine Demonstration geplant.

Die bewaffnete kurdische Befreiungsorganisation PKK stellt sich unterdessen auf verschärfte Auseinandersetzungen mit der türkischen Armee ein. Bei Gefechten in den Bergen sollen am Donnerstag nach Regierungsangaben rund zehn Guerrilleros ums Leben gekommen sein.

Auch Vertreter der legalen Opposition wie HEP (Volkspartei der Arbeit), der der ermordete Aydin angehörte, und Sozialistische Partei (SP) und Menschenrechtsorganisationen befürchten eine Zuspitzung der Auseinandersetzungen in Kurdistan.

Oppositionelle Kurden erklärten gestern, daß sie Absprachen zwischen türkischer Polizei und amerikanischen Militärs über eine Bekämpfung des kurdischen Widerstands für wahrscheinlich halten. Als Autoren der jüngsten Anschlagsserie gegen kurdische Prominente vermuten sie die „Counter-Guerilla“, den türkischen Arm des US-gesteuerten Geheimdienstes Gladio. Und auch bei der PKK-Bekämpfung sollen Amerikaner schon beteiligt gewesen sein: Vor einigen Tagen berichteten türkische Zeitungen von zwei amerikanischen Hubschraubern bei der PKK-Verfolung. Umgekehrt soll das türkische Militär nach Informationen aus Ankara die militärischen Installationen der Amerikaner vor Angriffen der PKK schützen.

Die jetzt geplante Stationierung weiterer ausländischer Soldaten im Rahmen einer Schnellen Eingreiftruppe zum Schutz der Kurden im benachbarten Irak bezeichnen türkische Kurden als zusätzliche Gefahr für die Sicherheit der Zivilbevölkerung in der Südosttürkei. dora