INTERVIEW
: Nicht mit der uralten Keulenschlägerei...

■ Der SPD-Vorsitzende Björn Engholm sucht nach neuen Wegen, Parteimitglieder für die ostdeutsche SPD zu gewinnen

taz: Altmark ist der flächenmäßig größte SPD- Unterbezirk in Ostdeutschland, ist eineinhalbmal so groß wie das Saarland und hat 140.000 Einwohner. Davon sind 735 Mitglieder in der SPD. In den anderen Bezirken ist es ähnlich dünn.

Engholm: Beglückend ist das nicht. Aber unsere Partei ist aus dem Nichts entstanden — mit Leuten, die nie zuvor politische Organisationen aufgebaut haben. Sie müssen learning by doing machen. Ob dabei die Unterstützung aus dem Westen immer ausreichend war, weiß ich nicht. Noch aber sind die Genossen hier noch nicht am Ende von try and error. Außerdem gibt es immer noch eine innere Ablehnung gegen die Idee eines freiheitlichen Sozialismus — Ergebnis der SED-Herrschaft. Diese Barriere muß die SPD noch nehmen.

Kommt die SPD so langsam voran, weil sie sich in Ostdeutschland vor der Bevölkerung versteckt?

Das ist erheblich besser geworden. Die SPD ist viel häufiger als früher auf den Marktplätzen zu sehen. Aber sie stößt auf Menschen, die gegenwärtig eine Fülle von Sorgen haben. Die haben alles andere am Hut und im Kopf, als SPD-Mitglied zu werden.

Die SPD ist viel zu zahm, zu wenig aggressiv.

Ich glaube nicht, daß mit Aggressivität oder einer starken Reduktion der Inhalte die Menschen zu überzeugen und große Blumentöpfe zu gewinnen sind. Die Leute hier gucken und hören sehr viel sensibler und sorgfältiger auf das, was Politik macht. Nötig ist solide, langjährige Überzeugungsarbeit: Jedes SPD-Büro muß Anwalt sein von Leuten, die Sorgen haben oder auch Ideen. Allein mit der uralten Keulenschlägerei gewinnt man die Menschen nicht mehr.

Will die SPD hier überhaupt die Führung übernehmen?

Sie muß. Mit der Zögerlichkeit, mit der die Regierenden vielfach handeln, wird es noch viele Jahre mehr dauern, als es dauern müßte. Hier werden Chancen nicht genutzt. Unkonventionelle und flächendeckende Infrastrukturprogramme sind nötig: die ökologische Bewältigung von Altlasten, die Neuorientierung der Landwirtschaft, die Telekommunikation und moderne Verkehrsinfrastruktur, stetige Be- und Entwässerungsprojekte. Es kommt zu wenig zum Laufen, zu vieles wird brösel- und kleckerweise gemacht.

Was soll denn mit Firmen passieren, die keinerlei Chancen haben, einen neuen Eigentümer zu bekommen, weil sie auch aus ökologischen und gesundheitlichen Gründen nicht erhaltenswert sind, aber wichtige industrielle Strukturen in ihren Städten darstellen?

Zu entscheiden ist, welche Industriestandorte will man halten? Und welchen Preis ist man bereit zu zahlen? Wenn dort private Eigentümer nicht sofort einsteigen, dann muß der Staat mit Hilfe der Treuhand an die Sanierung ran. Anschließend kann es dann auch privatisiert werden. In strukturellen Umbruchphasen dieser Tiefe kann es keine hundertprozentige Sicherheit für alle Menschen geben, aber man kann mit unseren Vorschlägen vermutlich Massenarbeitslosigkeit verhindern. Solche Grundüberlegungen — wo sollen Industrien stehen, wo muß man besondere Anreize geben, daß jemand dahin geht, wo muß etwas saniert werden, wo muß etwas aufgegeben werden aus ökologisch-ökonomischen Gründen —, diese Strukturpolitik gibt es bei der Bundesregierung ja nicht, denn sie haßt solche Instrumente. Die setzen auf den Markt — und der trifft Zufallsentscheidungen, die nicht mit grundlegenden Notwendigkeiten und Wünschen und Bedürfnissen der Menschen zusammenfallen. Interview: Gerd Nowakowski