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„Die Zeit dort, die stand still“

■ Im Stuttgarter Prozeß gegen den SS-Mann Schwammberger berichtet ein Überlebender

Stuttgart (dpa) — Im Saal des Stuttgarter Landgerichts ist es totenstill, als der 68jährige Mann aus Israel über die Greueltaten im NS- Arbeitslager Rozwadow im 1942 besetzten Polen berichtet. Im Prozeß gegen den ehemaligen Lagerkommandanten Josef Schwammberger, vom Vorsitzenden Richter der 9. Strafkammer des Landgerichts Stuttgart um etwas genauere Zeitangaben gebeten, sagt der Überlebende des Holocausts: „Die Zeit dort, die stand still. Die Sonne schien, während der Schlächter schlachtete.“ Und für die zahlreichen Prozeßbesucher, unter ihnen eine Schulklasse, erscheint der tägliche Terror gegen die Lagerinsassen im nachhinein kaum vorstellbar.

Manchen Zuschauern stehen Tränen in den Augen, als der Zeuge, der bis vor kurzem in Israel einen Industriebetrieb leitete, berichtet, wie sein eigener Bruder brutal erschossen wurde, weil er zu entkräftet war, um zur Zwangsarbeit in ein Stahlwerk zu gehen. Der Mann aus Israel wörtlich: „Als ich zur Arbeit ging und wir uns verabschiedeten, haben wir nicht gesprochen. Aber sein Blick, seine verängstigten Augen sagten, daß er wußte, was mit ihm geschehen würde. Und so war es dann auch.“ Ein Schauder des Entsetzens geht durch den Gerichtssaal, als der Zeuge schildert, man habe eines Tages einen Mann nach einem mißlungenen Fluchtversuch solange geschlagen, bis er sich aus Angst eingekotet habe. Daraufhin sei er gezwungen worden, seine eigenen Exkremente zu essen.

Und der wegen Mordes und Beihilfe zum Mord an Tausenden von Juden angeklagte Schwammberger? Er schweigt und zeigt keinerlei erkennbare Regung auf die hier bezeugten Greueltaten, die mit seinem Wissen oder auf seinen Befehl hin passiert sein sollen. Ob der 79jährige Schwammberger, dem ein medizinischer Sachverständiger eingeschränkte Verhandlungsfähigkeit bescheinigt hat, dem Gang des Prozesses wirklich folgen kann, bleibt auch für die Besucher unklar. Edgar Neumann

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